HOFFNUNG AUF DAS GROSSE GLÜCK
Richard. „Wir hatten so viel Spaß zusammen. Sie ist ein guter Kamerad, weißt du. Sie klagt nie, wenn wir angeln gehen und sie nass wird. Ich kann sie mir gar nicht als junge Dame vorstellen, so steif und starr und zimperlich – und sauber!“ Er lachte laut auf.
Emma musste an sich halten, denn der Zorn über Richards Worte überwältigte sie beinahe. Sie war keine schmutzige Range, wie er zu glauben schien, und …
Und dann fiel ihr Blick erneut auf den Apfelgrips. Die Äste schwankten im Wind, und der Apfel bewegte sich …
Sie hielt den Atem an. Einen Moment lang war alles still.
„Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen, Hugo“, sagte Richard, und seine Stimme klang auf einmal sehr ernst. „Aber wie es um meinen Vater nun einmal steht …“
„Ich weiß“, entgegnete Hugo mitfühlend. „Und selbst wenn Lord Hardinge nicht kränklich wäre, würde man dir nicht gestatten zu gehen. Manchmal bin ich ganz froh, nur der jüngere Sohn zu sein. Jetzt zum Beispiel. Mein Onkel erzählte mir, wie viel Spaß er bei seinem ersten Regiment hatte. Natürlich spielten die älteren Offiziere ihm allerlei Streiche – ein bisschen wie in der Schule – dennoch, die vielen Abenteuer …“
„Ja, ich weiß. Du hast mir davon erzählt, erinnerst du dich?“ Richard war neidisch auf das Glück des Freundes, wie Emma erkannte. Ihm als einzigem Sohn würde man niemals erlauben, in den Krieg zu ziehen.
„Wo kann sie bloß stecken?“ Richard war plötzlich wütend geworden. „Geh du und sieh im Obstgarten nach, Hugo. Ich suche unten am Fluss. Und wenn wir sie in den nächsten zehn Minuten nicht finden, müssen wir aufbrechen. Du darfst schließlich nicht zu spät kommen.“ Verärgert schlug er gegen den Stamm. „Verwünschtes Gör. Warum kann sie sich nie benehmen?“
Für einen Augenblick schien der Apfelgrips in der Luft zu schweben, um im nächsten Moment zwischen den Blättern zu verschwinden.
Emma unterdrückte einen Aufschrei. Dann blickte sie achselzuckend durch eine Lücke im Blattwerk nach unten. Jetzt konnte sie ebenso gut aufgeben, denn gleich würden sie sie ohnehin entdecken.
Richard indes war bereits losgegangen und begab sich mit langen, zornigen Schritten in Richtung Fluss.
Von unten drang unterdrücktes Gelächter zu ihr herauf. Deutlich vernehmbar und mit kaum verhüllter Belustigung hörte sie Hugo sagen: „Na, wenn das nicht merkwürdig ist. Da hat man mir wohl etwas Falsches beigebracht. Ich hätte schwören können, dass das hier eine Eiche ist, aber heruntergefallen ist ein Apfel. Wenn das kein Eichapfel ist … ja, gewiss, so muss es sein. Und die Zahnabdrücke stammen zweifellos von einem Eichhörnchen, denke ich mir. Sie haben ziemlich große Eichhörnchen in dieser Gegend. Beim nächsten Mal bringe ich mein Gewehr mit.“
Emma hätte schwören mögen, für einen Moment in sein Gesicht geblickt zu haben, doch gleich darauf sah sie, wie Hugo über das Gras zum Obstgarten lief, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Sie schob das Buch in ihre Tasche und begann, vom Baum zu steigen. War sie wirklich eine kleine Göre? Und immer schmutzig? Na warte, sie würde es Richard Hardinge schon zeigen.
Sie rannte über das Gras zum Seiteneingang des Hauses. Mithilfe des Kindermädchens würde sie binnen zehn Minuten wie eine Dame aussehen. Sie würde es ihm zeigen – ihnen beiden!
Nein, das war unfair. Hugo Stratton hatte sie nicht als schmutzige Göre bezeichnet. Er hatte genau gewusst, wo sie war, aber er hatte nur gelacht – und er besaß ein so wundervolles Lachen …
1. KAPITEL
1816
Emma Fitzwilliam ließ ihre haselnussbraune Stute in einen ruhigen Trab fallen, ehe die Eingangstore in Sicht kamen. Schlimm genug, dass sie ohne den Stallburschen ausgeritten war. Sie musste nicht auch noch in vollem Galopp auf das Anwesen der Hardinges preschen, als hätte sie keine Manieren.
Sie brachte das Pferd zum Stehen, um ihr blondes Haar zu richten. Es wurde Zeit, in die Rolle der perfekten Dame zu schlüpfen – was ihr schon seit Längerem mühelos gelang.
Emma sehnte sich danach, Richard und seine Gemahlin wiederzusehen. Es waren nur wenige Monate vergangen, seit der Earl und die Countess Hardinge aufs Festland gereist waren, aber Emma schien es Jahre her zu sein. Obwohl Richard der Gefährte ihrer Kindheit gewesen war, vermisste sie vor allem seine Ehefrau Jamie, der sie so nahe stand wie einer Schwester. Natürlich hatten sie einander geschrieben, doch das war immer mit einer zeitlichen
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