Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
Einschüchterungsversuch, eine weitere Erinnerung an den Tod für die Insassen des Todestrakts.
»Die sollten den Überwachungswagen mal anmalen wie diese tollen Käfer damals in den Sechzigern«, sage ich zu Robert in der nächsten Pause. Zu meiner eigenen Überraschung bin ich geradewegs zu ihm rübergegangen und habe mich auf der Freitribüne niedergelassen, genau an der Stelle, wo unser letztes Gespräch geendet hat.
»Ja«, sagt Robert, und das nicht im Ton von »Ja ja, red nur …«, sondern zustimmend, als ob er das auch schon gedacht hätte, wie: »Ja, genau!« Steck zwei ungefähr gleich intelligente Leute in denselben Raum, gib ihnen das gleiche Essen, denselben Blick aus derselben Art Fenster, und sie werden schließlich dieselben Gedanken haben. »Und oben drauf einen großen Wackelkopf, einen Clown-Kopf.« Er lacht sich einen Ast.
Robert ist seit sieben Jahren hier, sein Exekutionstermin wurde dreimal verschoben. Während sein Anwalt versucht, ihn am Leben zu erhalten, hat er schon etliche Selbstmordversuche unternommen. »Nur um die ein wenig zu ärgern«, sagt er mit einem aufrichtigen Lachen. Unter seinem Hals ist eine breite, dicke Narbe zu sehen. Da hat er vor vier Jahren versucht, sich die Kehle mit einem Metallteil durchzuschneiden, das er zuvor in mühevoller Kleinarbeit von der Edelstahltoilette geschält hat. Sieht nicht so aus, als wollte er an dem Tag nur jemanden ärgern.
»Mir war immer klar, dass ich so enden würde«, sagt er. »Schon in der Highschool.«
»Warum sagst du so was?«
»Na, wegen der Sache mit dem Bereuen. Ich hab mich nie um was gekümmert. Wenn man mir sagte, ich solle dies oder jenes besser nicht tun, hab ich allein auf Basis einer Kosten-Nutzen-Rechnung entschieden, ob ich es tu oder nicht. Ich hab mit vierzehn Jahren zu stehlen begonnen, und keinen Kleinkram, das sag’ ich dir. Bin bei echt reichen Leuten eingebrochen. Einem vierzehnjährigen Kind vertraut doch jeder.«
Er lehnt sich zurück auf der Tribünenstufe und reckt sich, seinen Erinnerungen nachhängend, der Sonne entgegen, die gerade hinter den Wolken hervorgekommen ist. Als ich schon glaube, jetzt gibt er sich ganz seinem Sonnenbad hin, richtet er sich plötzlich auf, als wäre er aus einem schlechten Traum hochgeschreckt.
»Ich kann Clarence ums Verrecken nicht ausstehen«, sagt er, seinen Blick auf die andere Hofseite gerichtet, wo Clarence soeben zu singen begonnen hat.
»Warum?«
»Der Typ ist ein Arsch. Damit hat sich’s. Einfach ein Arsch. Mehr ist dazu nicht zu sagen.«
»Er hat eine gute Stimme.«
»Scheiß auf seine Stimme. Am liebsten würde ich ihm in den Kehlkopf stechen. Du lieber Mann, wenn der neben mir gestanden hätte, als ich dieses Metallding aus der Toilette geholt habe! Ich hätte seine Kehle geschlitzt anstatt meiner. Die Wachleute hätten sich noch bedankt bei mir. Die hassen ihn um nichts weniger als ich.«
All das kommt ganz plötzlich wie aus heiterem Himmel – ein Phänomen, das ich bei den Insassen hier drinnen öfter festgestellt habe. Wer dreiundzwanzig Stunden am Tag einen weißen Betonziegel anschaut, hat wohl seine Probleme mit Konversation, falls sie dann doch mal stattfindet. Du verbringst so viel Zeit mit Gesprächen, die nur in deinem Kopf stattfinden, dass du irgendwann glaubst, die echten Unterhaltungen müssen auch diesem Rhythmus folgen. Ich frage mich, ob ich auch schon so weit bin …
»Ich meine, jeder, der je mit Clarence verkehrt hat, hasst ihn. Er ist nur ein Arschloch, verstehst du? Seine Frau, seine Kinder, ich bin sicher, die hassen ihn alle. Ich kann von mir immerhin behaupten, dass mir in meinem Prozess sogar der Staatsanwalt einen gewissen Charme nicht abgesprochen hat.«
Ich breche in lautes Lachen aus. Den Bruchteil einer Sekunde lang erwarte ich eine Attacke, zucke sogar zurück, aber dann bricht auch Robert in Lachen aus.
Das Lachen löst in meiner rechten Seite eine Schmerzattacke wie von einem Stromstoß aus, und ich kippe um.
Zurück in meiner Zelle, versammeln sich sämtliche Wärter rund um mich, eine Hand an ihren Tasern. Auch wenn ich mich wie verrückt krümme auf meiner Pritsche, glauben sie nicht daran, dass mir tatsächlich was wehtut. Sich so zu gebärden, als habe man arge Schmerzen, ist ein beliebter Trick hier drinnen, und normalerweise folgt darauf ein Ausbruch extremer Gewalt. Es braucht nur einen mitfühlenden Beamten, der sich zu dir herunterbeugt, schon hast du ihn im Schwitzkasten und bearbeitest seine Eier mit
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