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Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)

Titel: Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Levison
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Tribüne rüber, wo der Weiße, der nie spricht, sitzt und vor sich hin starrt.
    Er blickt auf mich herab, als ich mich auf die unterste Tribünenstufe setze. Er selbst hat seinen Stammplatz eingenommen, vier Sitzreihen höher, und ich spüre seine Augen auf mir, als ich mich zu ihm geselle. Bevor er mich jetzt so angeschaut hat, habe ich ihn noch nie unmittelbar auf eine äußere Anregung reagieren gesehen.
    Ich versuche, Augenkontakt zu vermeiden, und richte den Blick über den Hof, so wie er das üblicherweise macht, ich spüre aber seinen brennenden Blick auf meiner Haut. Ich drehe mich um und bin jetzt voll seinem starrenden Blick ausgesetzt. Warum? Sitze ich auf »seiner« Tribüne? Wird sich das hier zu einem kleinen Gerangel um Territorialfragen auswachsen? Ich will gerade aufstehen und weggehen, als er mich plötzlich anspricht: »Bist du ein Promi-Fall?«
    »Was?« Seine Stimme ist blechern und hell, nicht bedrohlich, wie ich erwartet hatte. Ich würde eigentlich von allen Stimmen im Todestrakt annehmen, sie seien bedrohlich, was aber überhaupt nicht der Fall ist, Clarence mal ausgenommen.
    »Du bist ein Promi-Fall, oder? Die stecken die Kinderfälle mit viel Presseklimbim zu uns rein, damit sie halbwegs unzerstört in die Verhandlung kommen.«
    Ich nicke.
    »Was hast du gemacht?«
    »Ich hab gar nichts gemacht. Bin unschuldig.«
    »Unschuldig«, lacht er. Das Wort an sich scheint ihn zu amüsieren, unabhängig davon, ob es nun auf mich zutrifft. »Du meinst nicht schuldig «, sagt er lachend.
    Ich denke, der sitzt halt hier gerne rum, um gelegentlich seine sprachkritischen Launen zu pflegen, also nicke ich bloß und wende mich zurück zum Hof, aber mein neuer Freund ist in Plauderstimmung. Er klettert die Stufen runter und stellt sich als Robert vor. Sein Handschlag ist selbstbewusst, sein Benehmen angenehm, mit dieser bestimmten Leichtigkeit im sozialen Umgang, die von Geburt an gutaussehenden Menschen oft eigen ist. Ich stelle zum ersten Mal fest, dass dies auf ihn zutrifft.
    »Nenn mich nicht Bob«, sagt er. »Auch wenn es dir noch so auf der Zunge liegt – bleib bei Robert.«
    Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Drohung oder ein Scherz ist. Ich habe das vage Gefühl, dass irgendwo in diesem Land jemand begraben liegt, der ihn zum falschen Zeitpunkt Bob nannte. Es ist ja wirklich so: Wenn du im Todestrakt sitzt, kann alles, was du sagst, mächtig gefährlich klingen, einfach nur, weil du einer von hier bist. Vielleicht hat er einfach nur Freude an seinem Namen.
    »Robert«, sage ich. »Ich bin Jeff.«
    »Immer schön bei Robert bleiben, Jeff«, lächelt er. Er blickt zu Bert und Ernie rüber, die mit zusammengesteckten Köpfen dahocken. »Ernesto wird dir sagen, er hat drei Frauen getötet«, sagt Robert mit einem verschmitzten Lächeln. »Hat er aber nicht. Er hat drei Männer auf dem Gewissen. Schwule Männer. In Bars kennengelernt, nach Hause abgeschleppt und umgebracht. Er ist eine Schwuchtel.«
    Da ich nichts sage, fährt Robert fort. »Lustig, nicht wahr? Dass er darüber Lügen erzählt. Ich meine – wen kümmert’s? Als ob einer, der Frauen umbringt, mehr zählen würde als einer, der Typen umbringt, weil er eine Schwuchtel ist? Da sitzen wir hier im Todestrakt, und dieser Typ kann mit der Spinnerei noch immer nicht aufhören, will immer noch besser sein als andere.«
    »Was hast du getan?« – Auch wenn hier ein halbwegs freundliches Gesprächsklima herrscht und ich bisher kein Tabu mit Bezug auf diese Frage festgestellt habe, bin ich doch erleichtert, als Robert nur mit den Schultern zuckt.
    »Ich hab sieben Leute umgebracht«, sagt er, und es klingt wie eine Zur-Seite-Bemerkung in einem Schultheaterstück. Dann sieht er mich mit einem durchdringenden Blick an, als könne er meinem Verstand beim Arbeiten zusehen. Es ist der gleiche Blick, mit dem die Bullen mich im Verhörzimmer einschüchtern wollten, allerdings vergeblich. Die sollten sich mal Nachhilfeunterricht von dem Mann da geben lassen. »Frauen und Männer«, sagt er.
    Ich nicke.
    »Gegen Bezahlung.«
    »Echt wahr?« Das überrascht mich. Ich hatte mir vorgestellt, seine Motive wären persönlicher und geheimnisvoller gewesen, etwa Stimmen im Kopf oder ein schräges sexuelles Verlangen. Töten für Geld erscheint da vergleichsweise gewöhnlich. Mit fällt auf, dass er exakt das macht, dessen er soeben Ernesto beschuldigt hatte: seinem Verbrechen eine Art Status zuzuordnen. Möglich, dass in seiner Vorstellung die Insassen, die

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