Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
meiner Duschtage Sonntage waren. Ich frage mich, wann eigentlich die Gläubigen baden.
»Das Ding fängt langsam an, mich zu plagen«, sage ich.
»Nur keine Überanstrengung«, sagt Evans, und ich bin mir nicht sicher, ob das – in Anbetracht meines vollkommen leeren Terminkalenders – ein Scherz sein soll oder ob er mir einen guten Rat geben will. Also nicke ich und zucke mit den Achseln. Evans ist nicht verantwortlich dafür, dass ich hier bin, es hat folglich keinen Sinn, ihn anzuschreien. Er verdient zwischen zwölf und vierzehn Dollar die Stunde, und als er bei den Normalos beschäftigt war, erzählte er mir, haben die Insassen ihn mit Scheiße beworfen. Der Todestrakt ist für diese Leute das reinste Honiglecken, und das möchten sie sich nicht verscherzen. Wir versuchen dafür, nicht zappelig zu werden, und sie lassen uns ab und zu ein wenig mehr Spielraum.
»Wenn du irgendwo im Haus einen Doktor siehst, schick ihn vorbei«, sage ich. Evans nickt und schlägt meine kleine Essensklappe zu. Ein Mortadella-Sandwich und ein trockenes Keksdings, das mal ein Napfkuchen war, bleiben auf meiner Seite zurück. Ich trage sie rüber zu meinem schmalen Fensterschlitz und starre hinaus.
Ich bin jetzt lange genug hier, um die Dinge halbwegs einschätzen zu können. Was wirklich Sinn hat und was nicht. Nichts hat einen Sinn. Das Einzige, was du tun kannst, ist warten, und das ist eine Disziplin, in der ich noch nie besonders gut war. Wenn du beispielsweise laut schreist und tobst, wirft dich das nur noch weiter zurück. Ich hab das nie versucht, hab’s aber bei anderen erlebt, und ich würde die Ergebnisse als kontraproduktiv bezeichnen. Clarence verliert immer wieder die Beherrschung und versäumt ziemlich oft den Ausgang. Gelegentlich sieht man ihn in eine Zwangsjacke gesteckt, mit Fesseln an den Füßen. In den Nächten höre ich aus seiner Zelle manchmal den sogenannten Taser-Schrei . So wird die Stimmlage bezeichnet, die offenbar einem Menschen nur zugänglich ist, wenn er mit einer Dosis elektrischer Hochspannung konfrontiert wird. Als ich den Schrei zum ersten Mal hörte, dachte ich, jemand würde vergewaltigt oder umgebracht, was mich umso mehr dazu veranlasste, mich möglichst nur hinzulegen und stillzuhalten.
Mir geht es darum, hier so bequem wie nur möglich zu leben, Konfrontationen – sofern nicht absolut unvermeidbar – nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen, und generell danach zu trachten, zu überleben. Mir wird bewusst, dass dies im Wesentlichen die Grundsätze waren, die auch für mein Leben vorher galten, und ich frage mich, ob nicht eine Änderung fällig gewesen wäre. Sechsunddreißig Jahre, Taxifahrer, dumpf und gleichgültig, Mittwoch ist Wäschetag, Donnerstag ein wenig Freizeitgestaltung, freitags wieder zurück in die Dumpfheit. Was für ein Leben war das eigentlich? Worauf hatte ich gewartet? Ich hab viel gelesen und einiges ausprobiert, zum Beispiel diesen Gemeindegarten, doch hat es mal eine Zeit gegeben, in der ich eindeutig höhere Erwartungen ans Leben hatte.
Ich verkneife mir gute Vorsätze, mich zu ändern, wenn ich hier jemals rauskommen sollte. Nicht weil ich glaube, eine Änderung nicht nötig zu haben, sondern weil ich mir ganz fest vorgenommen habe, niemals einen Gedanken zu Ende zu denken, der mit »Wenn ich hier jemals rauskomme …« anfängt. Nicht die Langeweile und Ungerechtigkeit und Frustration bringen dich um, sondern die Hoffnung. Hoffnung ist Gift. Hoffnung frisst dich auf. Hoffnung ist wie ein Glas Abflussreiniger.
Ich beobachte einen schwarzen Lieferwagen, der den Außenzaun entlangfährt. Runde um Runde. Ist das ein guter Job? Macht es den Justizwacheleuten Spaß, mit dem Wagen eine Runde nach der anderen zu drehen, oder hassen sie es? Dieses Gefängnis ist dermaßen sicher, mit seinen schweren Metalltüren und dem kugelsicheren Plexiglas, den Überwachungskameras und langen, offenen Flächen mit frisch gemähtem Rasen zwischen je zwei der vier stacheldrahtbekrönten Umzäunungen, die von mehreren Wachtürmen gut einsehbar sind, auf denen den ganzen Tag lang die Scharfschützen lauern. Schwer vorstellbar, dass dieser kreisende Lieferwagen jemals irgendwas zu tun bekommt. Vielleicht wollen die nur, dass wir ihn von unseren Fenstern aus sehen, als Warnung: Sollten wir jemals so weit kommen, was uns zwar nie gelingen wird, dann wartet da noch der Überwachungswagen auf uns. Vielleicht ist er deshalb schwarz mit getönten Scheiben, ein dunkler Archetyp, ein
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