Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
für Geld getötet haben, höher stehen als jene, die aus sexuellen Gründen oder aus Frust gekillt haben.
»Die Richterin sagte, ich sei ein Psychopath«, sagt Robert heiter, als ob er mit einer Art Auszeichnung angeben würde. »Sie meinte, ich sei unfähig, Reue zu empfinden, und ich glaube, sie hat recht damit. Ich hab ja auch wirklich keine Gefühle, höchstens Ärger darüber, dass sie mich erwischt haben. Aber weißt du, was lustig ist?«
»Was denn?« Es fällt mir schwer, mir irgendetwas wirklich Lustiges im Zusammenhang mit Robert vorzustellen. Ironisch vielleicht, oder auf eine Art schräg … aber Robert scheint wahrhaft erheitert.
»Bei meiner Verurteilung einigten sich mein Anwalt und die Richterin darauf, dass ich mich bei den Hinterbliebenen der Opfer entschuldigen sollte. Ich sollte zwei Stunden lang zuhören, wie sie mir erzählten, was für großartige Menschen die Leute waren, die ich getötet habe. Dann sollte ich eine Erklärung vorlesen, wie schrecklich leid mir das alles tut. Ich meine, die Frau hat sich gerade von drei Psychologen erklären lassen, dass ich zur Reue unfähig sei, dann fällt ihr nichts Besseres ein, als mir eine Erklärung abzuverlangen, wie leid es mir tut.« Robert schnaubt vor Lachen, und ich bin versucht, einzustimmen.
Von meinem Lächeln ermutigt, fährt er fort. »Diese Hinterbliebenen erzählten mir also, was für phantastische Menschen die Leute waren, die ich umgebracht hatte. Die hätten einem Fremden ihr letztes Hemd gegeben. Es war himmelschreiend. Die saßen da oben, weinten sich über ihre beschissenen Verwandten aus, redeten mir ein, wie leid es mir tun sollte – und ich versuche, nicht zu lachen. Meine Opfer waren durchwegs bedürftige, klammernde, gierige Dreckskerle. Und ihre Hemden hätten die aber schon gar niemandem geschenkt. Die meisten hätten für keinen verdammten Bettler einen Groschen übriggehabt.«
Mein Lächeln ist leicht eingefroren, zumal jetzt der Psychopath zum Vorschein zu kommen scheint, aber Robert bemerkt das entweder nicht oder ist jetzt zu sehr in Fahrt, um aufhören zu können.
»Alles ein Haufen Scheiße«, lässt er mich wissen. »Reine Show. Die Gerichtsverhandlung, merk dir das – alles nur eine Show.«
»Ich hab grad einen Bullen getroffen, der an meine Unschuld glaubt«, sage ich. Roberts Meinung dazu interessiert mich wirklich. Er ist der Erste hier drinnen, der sich einfach nur ein wenig unterhalten will, und seine Sicht der Dinge passt einigermaßen gut zu der meinen, denke ich. Er ist intelligent, neugierig und zynisch, und die Tatsache, dass er all diese Menschen getötet hat, scheint keine große Rolle zu spielen. Vielleicht ein Symptom meiner Einsamkeit nach einem Monat, in dem ich dreiundzwanzig Stunden täglich in der Einzelzelle gesessen habe. Es braucht nicht viel Isolation, damit deine Ansprüche an menschliche Kontakte sinken.
Robert schüttelt den Kopf, während bereits das Signal zur Beendigung der Pause ertönt. »Mach dir keine Hoffnung«, sagt er. »Du bist nichts weiter als ein Zirkuspferd in einer Show.«
Es ist zu spät. Als wir in unsere Käfige getrieben werden, habe ich das Gefühl, zwei neue Freunde zu haben. Einen Polizisten, der mich für unschuldig hält, und einen Kerl, der versteht, was ich durchmache. Es ist ihm egal, das ist mir klar, aber immerhin versteht er mich. Und das ist doch schon was.
Kapitel vier
D as Gefängnis frisst mich auf, im Sinne des Wortes. Mein Vermögen, vom Morgen bis zum Abend weißgekalkte Betonziegel anzustarren, ohne mich innerlich komplett zu verkrampfen, ist irgendwann erschöpft. So ist in meinem rechten Bauchraum ein Gebilde gewachsen, das sich wie ein Stein anfühlt. An manchen Tagen hoffe ich, es ist Krebs.
»Der Doktor kommt am Dienstag«, sagt Evans, als ich ihm darüber berichte. Evans meint tatsächlich, ich wüsste, was für ein Tag ist.
»Wie lange dauert es bis Dienstag?«
»Zwei Tage«, sagt Evans. »Heute war Kirche.«
Evans hat vergessen, dass ich in meinem Aufnahmeformular das Kästchen neben »Atheist« angekreuzt habe und deshalb nicht in den Genuss eines wöchentlichen Besuchs des Gefängniskaplans komme. Sonntag ist deshalb für mich ein Tag wie jeder andere. An manchem Sonntag krieg ich eine halbe Stunde unter der Dusche, während die anderen den lieben Gott um eine Begnadigung oder einen neuen Prozess anflehen, heute allerdings nicht. Scheint vom Zufall abzuhängen, und bis jetzt hatte ich gar nicht bemerkt, dass die meisten
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