Hoffnung: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
der Bank schlafen. Wo will Jonna denn schon so eilig hin? Zu dem Betonraum im U-Bahn-Schacht am Odenplan?
Erst Elina und jetzt Minken.
Was bringt das alles schon?
Sie verstummt, bleibt mit leerem Blick sitzen und lässt den Nebel wiederkommen und in ihren Körper einziehen. Lässt zu, dass alles undeutlich und verschwommen wird und die Tränen überlaufen und warm die Wangen herabrinnen, und das fühlt sich ein bisschen so an, wie wenn man ganz dringend aufs Klo musste oder wenn einem schlecht war, es ist einfach so schön, dem Drang endlich nachgeben zu können.
Sie lässt los, und das ist eine Erleichterung, sie schluchzt und schnieft, und Weinkrämpfe schütteln sie. Sicherheitshalber dreht sie sich zum Fenster und versucht, ganz leise zu weinen, um keine Aufmerksamkeit zu erwecken, doch niemand scheint Tränen in einem Krankenhaus auch nur im Geringsten komisch zu finden. Sie weint und weint und sieht blind vor Tränen in den Schnee und die Winterdunkelheit hinaus und fragt sich, was sie noch alles verlieren wird.
Kann nicht alles einfach bald zu Ende sein?
Da klingelt ihr Handy.
Sie fährt zusammen, und es klingelt wieder, und sie denkt, das ist ja wie in einem Film, wo es plötzlich in der Tasche klingelt, wenn einer so richtig am Ende ist und wieder zum Leben erweckt werden soll, am Wendepunkt. Vielleicht ist es ihre Großmutter. Bestimmt ist es Oma, die anruft. Endlich. Sie will kommen und Jonna holen, will sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles wieder gut wird, dass sie Jonna so gern hat und alles geregelt werden wird. Und Jonna will den Anruf schnell annehmen, denn darauf hat sie ja gewartet, dass jemand sagt, dass alles wieder gut wird.
Sie schnieft und sucht nach der richtigen Jackentasche, aber es klingelt noch einmal, weil sie die Jacke gar nicht anhat, sondern zusammengeknüllt auf dem Schoß, sie muss suchen und denkt die ganze Zeit, dass endlich jemand von zu Hause sie anruft.
So ist es aber nicht.
Wieder diese verhasste Nummer. Erstarrt blickt sie auf das Display, aber jetzt hat sie keine Angst mehr, im Gegenteil, jetzt ist sie so wahnsinnig wütend.
Verdammte Scheiße! Gibt es denn keine Grenzen?
Hallo? Wir haben ein paar muffige Flaschen Sprit geklaut, und jetzt habt ihr Minken aus Rache fast totgeprügelt, reicht das nicht? Sie ist so verdammt wütend, und als es noch einmal klingelt, da ist ihr alles scheißegal – und sie geht ran.
Schweigen.
Plötzlich hat sie vergessen, was man sagt, wenn man ans Telefon geht. Sitzt einfach da mit dem Handy am Ohr, ringt ein wenig nach Luft, weil sie sich über ihren eigenen Mut wundert, und starrt aus dem Fenster in die Dunkelheit. Was passiert jetzt?
Am anderen Ende der Verbindung kann sie jemanden leise atmen hören. Ein wenig erstaunt.
Und dann sagt eine Frauenstimme: »Jonna?«
»Was?«
»Spreche ich mit Jonna?«
»Äh, ja?«
»Wie schön. Hier ist Sandra vom Enter.«
Sie war nicht gejagt worden.
All die Tage. Die ganze Angst.
Vielleicht gab es nicht einmal jemanden, der gesehen hat, dass sie und Alex bei dem Diebstahl unter der Liljeholms-Brücke dabei waren. Die Anrufe kamen von Sandra. Wahrscheinlich war es reiner Zufall, dass die Besitzer des Busses das Ding gerade da geparkt hatten, wo Jonna an Heiligabend saß.
All die Furcht. Wie sagt man? Grundlos.
Mit einem Mal ist sie sehr erschöpft. Die stahlharte Anspannung, die sie durch Angst und Schrecken tagelang aufgebaut und mit sich herumgeschleppt hat, lässt sie jetzt aus ihrem Griff, und Jonna sinkt auf der Bank in sich zusammen. Plötzlich wird ihr ganz heiß im Gesicht, der Mund ist trocken, die bleischweren Arme zittern, sie ist verwirrt und aufgewühlt.
All die Furcht. Grundlos.
Wie lange sitzt sie da?
Alex schläft, und draußen ist es dunkel, Menschen stolpern herein und hinaus. Jonna friert vor Müdigkeit, die Haut über den Wangen spannt, und die Oberschenkel tun ihr weh, aber irgendwann dringen Sandras Worte tatsächlich in ihr Gehirn vor. Hat sie das wirklich gesagt? Das Gespräch ist schon lange beendet, als Jonna zu begreifen beginnt, was der eigentlich Grund für die zahlreichen Anrufe war.
»Wir haben uns ein wenig Sorgen um dich gemacht, Jonna. Du warst so traurig, als du das letzte Mal bei uns warst, und dann haben wir dich nicht erreichen können. Helena und ich haben fast jeden Tag versucht, dich anzurufen. Und wir haben auch die anderen Mädchen gefragt, ob sie etwas von dir gehört haben. Schließlich wussten wir nicht mehr, was wir noch
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