Hogan, S: Steampunk-Saga: Episode 5
wenn jemand sie bevormunden wollte! Kate war ein Waisenkind. Erst war ihre Mutter gestorben, dann ihr Vater. Sie hatte lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Und weil sie ihr Leben allein gut im Griff hatte, wollte sie sich von niemandem Vorhaltungen machen lassen.
In ihrem Zimmer legte sie zunächst ihre Garderobe ab und heizte den Badeofen der eisernen Wanne. Für Kate war es ein unglaublicher Luxus, dass ihr Hotelzimmer über eine eigene Badewanne verfügte. Daheim im East End ging sie nur einmal wöchentlich in die öffentliche Badeanstalt, die sich drei Straßen von ihrer Wohnung entfernt befand. Als das Wasser warm war, streute Kate eine große Portion von dem hoteleigenen Badesalz in die Wanne und stieg vorsichtig hinein.
Der Lavendelduft und die angenehme Temperatur halfen ihr bei der Entspannung. Nach einigen Minuten wurde Kate innerlich ruhiger. Sie konnte wirklich stolz auf sich sein, weil sie Serpent entkommen war. Dieser Erfolg gab ihr die Zuversicht, dass sie auch ihren eigentlichen Auftrag erledigen konnte. Wenn da nur nicht dieser Roger Leclerc wäre! Er war zweifellos ein Mann, der einer Frau gefährlich werden konnte. Kate wollte gar nicht wissen, wie viele unerfahrene junge Dinger bei ihm schon schwach geworden waren. Aber zu diesen unbedarften Gänsen zählte sie selbst ganz sicher nicht.
Oder?
Kate wusste ja, dass der Bohemien etwas im Schilde führte. Davon war sie jedenfalls zutiefst überzeugt. Sie musste sich eingestehen, dass sein Charme auch bei ihr selbst nicht wirkungslos blieb. Leclerc war ins Hotel Savoy gekommen, nur um sie zu sehen. War das nicht schmeichelhaft?
Während Kate solche Überlegungen durch den Kopf gingen, trocknete sie sich ab und begann dann mit dem Ankleiden. Sie schnürte ihr Korsett besonders eng, um eine gute Figur zu machen. Kate hatte leider keine Ahnung, welche Art von Kleid für eine Dinner-Verabredung in Paris passend wäre. Aber da sie ohnehin nur ein einziges weiteres Kleid eingepackt hatte, fiel die Wahl auch nicht schwer. Als sie das graublaue Taftkleid aus ihrer Reisetasche holte, fiel ihr Blick auf die mechanische Orchidee, die James ihr zum Abschied geschenkt hatte.
Tränen der Rührung schossen Kate in die Augen. Sie kam sich plötzlich furchtbar schäbig vor, weil sie mit Leclerc ausgehen wollte. An den ehrlichen Gefühlen ihres Verlobten hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Und sie redete sich ein, dass sie selbst ja auch nichts von dem Franzosen wollte. Wenn sie es schaffte, ihm ein paar wichtige Informationen zu entlocken, dann hatte sich der Abend auf jeden Fall gelohnt. Sie würde standhaft bleiben, das nahm sie sich jedenfalls fest vor.
Aber immerhin saß ein unschuldiger Mann in der Todeszelle. Um ihn zu befreien, musste ihr jedes Mittel recht sein. Jedenfalls fast jedes.
Kate hockte sich vor die Frisiertoilette und ließ die Puderquaste über ihr Gesicht fliegen, um die verräterischen Tränenspuren zu beseitigen. Nachdem sie auch noch mit der Brennschere ihre widerspenstigen Korkenzieherlocken in Fasson gebracht hatte, war sie für den Abend mit ungewissem Ausgang bereit.
Leclerc erwartete Kate im Hotelfoyer. Der Franzose erinnerte jetzt überhaupt nicht mehr an das Klischeebild eines verlotterten Bohemiens. In seinem modischen Frack mit champagnerfarbener Weste machte er eine erstklassige Figur. Nur die perlenbestückte Krawattennadel in seinem breiten weinroten Halstuch war eine modische Extravaganz, die in den besseren Kreisen Englands missbilligende Seitenblicke auf sich gezogen hätte. Auch im Gesellschaftsanzug verkörperte dieser Mann die lässige französische Lebensart. Und Kate musste sich widerwillig eingestehen, dass Leclerc sie beeindruckte. Insgeheim war sie sogar ein wenig stolz darauf, an der Seite eines solchen Mannes gesehen zu werden.
„Sie sehen bezaubernd aus, Miss Fenton.“
Dieser Satz aus Leclercs Mund war zwar eine Phrase, doch bekanntlich macht ja der Ton die Musik. Das war jedenfalls Kates Ansicht. Und die Stimme des Bohemiens vibrierte förmlich vor mühsam zurückgehaltener Leidenschaft. Sie fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn dieser Mann die Beherrschung über sich selbst verlor. Diese Vorstellung jagte Kate wohlige und unangenehme Schauer gleichzeitig über den Rücken.
Ihr Leben wäre wirklich leichter gewesen, wenn Leclerc sie innerlich so kalt gelassen hätte wie der sympathische, aber gänzlich nicht aufregende Kriminalassistent David Benson. Doch der Franzose machte sie durch
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