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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugenie Kain
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Durchzug.
    Auch der Schneckenkönig will weg. Er möchte mit mir um eine Gemeindewohnung ansuchen. Ich will nicht weg. Ich wohne schon zu lange hier. Viele meiner Träume und Wünsche habe ich hier abgelegt oder in den Wind geblasen wie die weißen Fallschirme des Löwenzahns. Wenn ich durch die Gassen zur Donau hinuntergehe, habe ich das Gefühl, sie schweben neben mir, sie begleiten mich ein Stück, und es liegt nur an mir, dass ich nach ihnen greife und sie wieder einen festen Platz haben. Meine Zeit mit dem Indienreisenden habe ich in der Fischergasse zurückgelassen. Eine kleine Zweizimmerwohnung im Erdgeschoß. Die Hüllen der Schallplatten quollen auf, wenn sie länger an der Mauer lehnten. Ein Maler hat die Räume vor mir als Atelier, besser gesagt, als Lagerraum benutzt. Viel Tageslicht war da nicht zum Malen. Die Wohnung war eine Höhle mit Polstern und Matratzen auf dem Teppich, einer lackierten Obstkiste als Tisch, kein Sessel, in einer Ecke die Wasserpfeife, in einer anderen die Gitarre. Ich bin unterwegs nach Süden und will weiter bis ans Meer. Der Indienreisende hatte mir von seinen Reisen einen Wolfspelz mitgebracht, eine Schakaljacke mit räudigem Ärmel und einem Loch im Fell. Ein Bauer aus dem Kaschmir habe den angreifenden Wolf mit einer Mistgabel abgewehrt, bis sein Sohn mit dem Gewehr gekommen sei. Deshalb das Loch, erzählte der Indienreisende, und ich war stolz auf die Jacke. In ihr fühlte ich mich wild und frei wie der Schakal aus dem fernen Land. Mit breiten Schultern lief ich durch die Landstraße und wusste, dass ich stark bin. Der Indienreisende wollte, dass ich mit ihm auf dem Landweg nach Indien trampe. Ich blieb und wartete nicht auf ihn. Er blieb auf der Fährte seiner Freiheit, bis er nicht mehr weiter konnte. Die Route über den Iran und Afghanistan war gesperrt. Der Zoll behielt seine Teppiche ein, an den Seidentüchern, Stoffen, Silberringen und indischen Röcken war in Linz niemand mehr interessiert. Es gab inzwischen genug Geschäfte. Hier war die Zeit schneller geworden. Die Daheimgebliebenen hatten sich arrangiert. Wir gingen längst einer geregelten Arbeit nach oder auf die Universität. Boom Shankar war nicht mehr so wichtig. Bier tat es auch. Als dem Indienreisenden bewusst geworden war, dass er den Absprung aus Linz nicht mehr schaffen würde, brachte er sich um. Der Wolf ist mein einziger Pelz geblieben. Und wenn der Wind mir fetzenweise meine alte, tote Haut vom Rücken fegt, als weiße Asche steh ich auf und bin gesund. Die Schallplatten aus der Fischergassenzeit sind schon lange verloren gegangen. Aus einem Winkel der Erinnerung tauchen manchmal Lieder mit einem vergessenen Traum auf und verschwinden wieder.
    Das Wasser kam in der Fischergasse bis zum Fensterbrett. Im Keller hatten wir es oft. Die Wände sogen die Nässe auf wie ein Schwamm. Nichts half. Im Sommer heizen, lüften, Teebaumöl oder Chemie, die Schimmelflecken blieben mir und der Geruch nach feuchtem Verputz. Er kroch in die Kleider, in die Bettwäsche und ins Haar, auch Sandelholz und Patschuli kamen dagegen nicht an. Ich konnte mich nicht mehr riechen. Der Geruch der Armut hat Nuancen. Kalter Rauch kann dabei sein, ein schlechter Zahn, ungelüftete Räume, Kleiderschweiß, Haarfett, aber Basisnote bleibt für mich der Geruch nach feuchter Mauer. Dunkel erinnere ich mich, dass ich als Kind mit meiner Großmutter manchmal eine Großtante besucht habe. Sie wohnte in einem baufälligen Haus im Zentrum, über das sich längst die Spitzhacke hergemacht hat. Der Mauergeruch hing in der Wohnküche, und in den Ecken lauerten gesprenkelte Schimmelflecken. Die Tante trug ein blauschwarz glänzendes Hauskleid aus dickem Stoff und sah mit ihrem hochgesteckten weißen Haarzopf vornehm aus. Sie kochte uns einen Linde-Kaffee, ich bekam den weißen Plastikindianer, der in der Packung steckte. Meine Großmutter hatte Kuchen mitgebracht. Ich saß auf der Bettbank, und die Tischplatte war in Nasenhöhe. Mich irritierte ein merkwürdiges Fiepen, hoch und aufgeregt und mehrstimmig, das draußen vom Gang kam. Was ist das, fragte ich die Großmutter, die mein hartnäckiges Fragen gerne überhören wollte.
    Sie fühlte sich unbehaglich und sah Hilfe suchend zu ihrer Schwester. Die Tante schaute mich an, ich weiß noch, dass sie mir den Kragen richtete, während sie mit mir redete.
    – Das sind Ratten. Sie pfeifen auf dem Abort. So ist das bei den armen Leuten.
    Meine Großtante war eine Waschfrau und hatte in ihrer Jugend

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