Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
Andrej stand. »Bitte entschuldigt die Störung, edle Herren«, lallte er mit schwerer Zunge, »aber meine Brüder und ich haben uns gefragt, ob wir nicht miteinander ins Geschäft kommen könnten.«
Andrej trank an seinem Bier und versuchte aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Mann neben sich zu erhäschen. Er sah wenig mehr als einen Schatten, der zu dunkel und zu klein war, um zu dem goldenen Ritter gehören zu können. Seine Hand schloß sich fester um den Griff des Sarazenenschwertes.
»Was bringt dich auf die Idee, daß wir an einem Geschäft mit euch interessiert sein könnten?« fragte der Mann.
»Und was hättet ihr uns zu bieten?« fügte eine zweite Stimme hinzu.
»Ihr seid auf dem Weg nach Constãntã, habe ich recht?« fragte Sergé.
»Und wenn es so wäre?«
»Meine Brüder und ich haben dasselbe Ziel«, antwortete Sergé. »Wir fragen uns, ob wir gemeinsam weiterreiten könnten?«
»Wozu?« Diesmal hörte Andrej einen deutlichen Unterton von Mißtrauen in der Stimme des Fremden heraus.
»Wir sind reisende Künstler«, sagte Sergé. »Morgen ist Markttag. Ein guter Standplatz ist bares Geld wert. Aber den werden wir nicht bekommen, wenn wir erst morgen früh nach Constãntã hineinkommen.«
»Das ist euer Problem«, mischte sich eine weitere Stimme mit einem Akzent ein, den er nicht vergessen würde - nicht, nachdem sich das Bild des goldenen Ritters auf seine Netzhaut eingebrannt zu haben schien, der mit dem drohend erhobenen Bihänder über ihm gestanden hatte und später, als sich das Blatt gewendet hatte, zu ihm gesagt hatte: »Was willst du? Meinen Namen oder meinen Kopf?«
»Wieso gibst du dich überhaupt mit diesem Gesindel ab, Bogesch?« fuhr der Mann mit dem schweren Akzent fort. »Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn.«
Der Mann näherte sich, trat mit schnellen Schritten um den Tisch herum und blieb auf der anderen Seite stehen. Andrej wußte sofort, daß er es war. Er war sehr groß, hatte schulterlanges, gewelltes blondes Haar und wirkte deutlich jünger als der goldene Ritter, gegen den er vor ein paar Tagen gekämpft hatte. Sein Gesicht hätte sympathisch wirken können, wäre in seinen Augen nicht ein Ausdruck von Gier gewesen, der Delãny zutiefst erschreckte.
»Wir sind kein Gesindel«, lallte Sergé. Er spielte den Betrunkenen wirklich überzeugend. »Wir sind Künstler!«
»Künstler …, soso.« Der goldene Ritter zog eine Augenbraue hoch. »Mir kommt ihr eher vor wie fahrende Diebe, die von einem Markt zum anderen reisen und nach Dummköpfen Ausschau halten, die sie um ihr Geld erleichtern können.«
Während er sprach, glitt sein Blick von einem Gesicht zum anderen. Zu Andrejs Überraschung musterte er ihn selbst kaum länger als die anderen, sah Frederic dafür aber um so aufmerksamer an.
»Verzeiht meinem Bruder, edler Herr«, sagte Ansbert. »Er ist betrunken und weiß nicht, was er tut. Sergé - entschuldige dich!«
»Was ist mit dem Jungen?« Der Ritter machte eine Kopfbewegung in Frederics Richtung. »Ist er krank?«
Frederic senkte den Blick und griff mit einer zitternden Hand nach seinem Löffel. Er hustete.
»Eigentlich nicht«, antwortete Ansbert. »Aber die Leute sind großzügiger, wenn sie glauben, ein krankes Kind zu sehen.«
»Er sieht nicht aus wie euer Bruder«, faßte der Goldene mißtrauisch nach. »Eigentlich seht ihr alle nicht aus wie Brüder.«
Ansbert lachte leise. »Das kommt vielleicht daher, daß wir alle verschiedene Väter haben.«
»Die noch dazu aus verschiedenen Teilen der Welt zu stammen scheinen …«, ergänzte der Blonde argwöhnisch. »Woher kommt ihr? Aus dem Norden?«
»Dort ist nichts zu holen«, antwortete Ansbert kopfschüttelnd. »Wir haben den Sommer bei dem Türkenpack verbracht und wollten nun hinauf nach Transsilvanien, doch ich glaube, der Weg lohnt nicht.«
»Hör auf, deine Zeit mit diesem Gesindel zu vertrödeln«, rief einer der Männer von der Theke her. »Wir müssen weiter. Malthus erwartet uns in einer Stunde.«
Der Ritter antwortete nicht sofort auf diese Bemerkung. Wieder sah er Frederic an, und ein sehr nachdenklicher Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, fast so, als wäre er überrascht, hier auf ihn zu treffen. Aber das war natürlich undenkbar. Der Mann und Frederic konnten sich überhaupt nicht kennen - jedenfalls nicht, wenn der Junge ihm den Ablauf des Überfalls auf Borsã korrekt wiedergegeben hatte. Aber was dann hatte die Reaktion des Ritters zu bedeuten? Spielte er ein Spiel mit
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