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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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bloße Neugier, das spürte Andrej. Und plötzlich begriff er auch, daß die Männer Frederic und ihn
nicht nur aus purer Freundlichkeit an ihren Tisch gebeten hatten. Sie verfolgten
eine ganz bestimmte Absicht. Er wußte nur noch nicht, welche.
»Wir … wollen meine Schwester besuchen«, antwortete er vorsichtig. »Sie hat
vor fünf Jahren nach Constãntã geheiratet. Seither haben wir sie nicht mehr gesehen.«
»Ihr kommt aus Transsilvanien hierher, nur um einen Familienbesuch zu machen?« fragte Krusha. »Das ist ein weiter Weg.«
»Vater ist im letzten Frühjahr gestorben«, sagte Frederic plötzlich. »Jemand
muß es Lugova sagen.«
Andrej unterdrückte den Impuls, dem Jungen einen überraschten Blick zuzuwerfen. Frederic hatte bis jetzt geschwiegen - aber das bedeutete ganz offensichtlich nicht, daß er nicht zugehört hatte. Vielleicht spürte er ja auch, daß mit
diesen vier Männern irgend etwas nicht stimmte.
»Wißt ihr denn, wo eure Schwester wohnt?« fragte Sergé. »Constãntã ist eine
ziemlich große Stadt, mein Junge. Du kannst eine Woche nach jemandem suchen, ohne ihn zu finden.«
»Oder auch zwei oder drei«, fügte Ansbert hinzu. »Vor allem jetzt.« »Wieso jetzt?« fragte Andrej.
»Es ist Markt«, antwortete Ansbert. »Die Menschen strömen von überall her in
die Stadt.« Er machte eine ausholende Geste. »Das ist auch der Grund, weshalb
meine Brüder und ich in dieser Kaschemme logieren statt in einer Herberge, die
uns angemessen wäre. Es gibt in ganz Constãntã kein freies Zimmer mehr.« »Ist das auch der Grund, aus dem sie nachts die Stadttore schließen?« erkundigte sich Andrej.
Sergé starrte ihn mit einem Ausdruck von Überraschung an, der zu spontan
war, um gespielt zu sein.
»Dieses Borsã muß wirklich sehr weit entfernt sein«, sagte er. »Ihr wißt anscheinend nicht, was in der Welt vorgeht.«
»Was geht denn vor?« fragte Andrej.
Sergé und sein Bruder tauschten einen vielsagenden Blick, bevor Ansbert antwortete. »Krieg, Delãny«, sagte er.
»Krieg?« fragte Andrej. »Wer gegen wen?«
»Irgendwer führt immer gegen irgendwen Krieg«, antwortete Ansbert achselzuckend. »Wer gegen wen … das spielt doch keine Rolle mehr, oder?« Er zuckte
die Achseln. »Noch ist er nicht ausgebrochen, aber man erzählt sich so einiges
von der Türkengefahr. Schlechte Zeiten ziehen schlechte Menschen an, ist es
nicht so?«
»Aber das ist manchmal nicht das Schlechteste, was einem passieren kann«,
fügte Krusha hinzu.
Andrej sah aufmerksam von einem zum anderen. »Worauf wollt ihr hinaus?«
fragte er geradeheraus.
Ansbert lachte. »Ich habe mich nicht in dir getäuscht, Delãny«, sagte er. »Du
scheinst ein kluger Mann zu sein.«
Der Wirt kam und brachte ihre Bestellung: einen Krug Bier für Andrej, heiße
Milch für Frederic und zwei Portionen kalten Braten und nicht minder kalten
Kohl. Der bloße Anblick der Mahlzeit ließ Andrej das Wasser im Munde zusammenlaufen, obwohl sie im Grunde alles andere als appetitlich aussah. Sie unterbrachen ihr Gespräch, bis der Wirt wieder außer Hörweite war. Frederic begann das Essen in sich hineinzuschaufeln, und auch Andrejs Magen ließ
ein lautstarkes Knurren hören, was Ansbert zu einem leisen Schmunzeln verleitete. Delãny griff nach dem Messer und dem hölzernen Löffel, die ihm der Wirt
neben den Teller gelegt hatte, fing aber noch nicht an zu essen.
»Jedenfalls nicht klug genug, um zu verstehen, was ihr von uns wollt«, sagte
er.
Ansbert nippte an seinem Bier. »Warum kommt ihr nicht mit uns?« fragte er.
»Du siehst nicht aus wie ein Schwächling. Meine Brüder und ich sind Schausteller. Wir können immer einen Mann gebrauchen, der zupacken kann und keine
Angst vor Arbeit hat. Und für deinen Bruder finden wir auch eine Aufgabe.« Für einen Moment konnte Andrej die Spannung, die zwischen den vier Brüdern
in der Luft lag, fast mit den Händen greifen. Er wollte antworten, aber in diesem
Moment … hörte er von draußen das Klirren von Waffen und eine Stimme, deren
fremdartiger Dialekt ihm nur zu bekannt vorkam.
Es war wie ein Schlag in den Magen. Andrej stockte für Sekundenbruchteile
buchstäblich der Atem. Das Gefühl einer fremden, durch und durch bösartigen
Präsenz schlug mit fast körperlicher Wucht über ihm zusammen, so schnell und
brutal, daß er für die Dauer von zwei oder drei schweren Atemzügen nicht einmal in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, irgendwie zu reagieren.
Es wäre ohnehin zu spät

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