Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
auch die beiden anderen werden sterben - ob mit oder ohne deine Hilfe!«
Andrej antwortete nicht mehr. Sergé war nicht in der Verfassung, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Der Schmerz und der Kummer über den Verlust seiner Brüder hatten ihn fast an den Rand des Wahnsinns getrieben. Und er war ohnehin nicht sehr beherrscht, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Krusha. Trotzdem war Andrej sich nicht sicher, welcher von den beiden vertrauenswürdiger war - wenn überhaupt.
»Es wird bald hell«, sagte Krusha in das immer unbehaglicher werdende Schweigen hinein. »Wir können nicht hierbleiben. Die Familie des Gastwirtes hat in die Stadt um Hilfe geschickt. Sie werden den Wald durchkämmen, um die Mörder zu finden. Vielleicht ist es besser, wenn wir den Soldaten nicht begegnen.«
»Habt ihr einen Grund, ihnen nicht begegnen zu wollen?« fragte Andrej.
»Was interessiert das dich?« fragte Sergé feindselig.
Andrej antwortete auch jetzt nicht sofort. Er fühlte sich schuldig. Es spielte keine Rolle, daß Frederic und er ebenfalls Opfer des heimtückischen Anschlages waren - Vranjevc und die anderen Männer waren nur gestorben, weil sie zufällig in dieses Gasthaus eingekehrt waren … und weil Andrej so hochmütig und naiv gewesen war, anzunehmen, er könne die drei goldenen Ritter täuschen. Wie hatte er das auch nur eine Sekunde lang wirklich glauben können! Diese Männer hatten im Laufe ihres Lebens wahrscheinlich schon jede Art von Finte, Betrug und Intrige kennengelernt. Sie würden sich wohl kaum von einem Bauerntölpel aus Transsilvanien an der Nase herumführen lassen, nur weil dieser von seinem Stiefvater zu einem hervorragenden Schwertkämpfer ausgebildet worden war.
»Ihr seid wirklich entschlossen, diese Männer zu suchen«, sagte er.
»Und wenn es das Letzte ist, was ich tue«, bekräftigte Sergé.
Krusha starrte weiter in die erlöschende Glut. Nach zwei oder drei Augenblicken nickte er.
»Sagt mir noch eines«, fuhr Andrej fort. »Warum habt ihr uns wirklich an euren Tisch gebeten? Ihr seid keine Schausteller. Jedenfalls keine, die einen Mann und einen Jungen brauchen, der ihren Wagen belädt und Wein und Brot für sie holt.«
»Und wenn dem so wäre?« fragte Sergé.
»Ihr seid Diebe«, fuhr Andrej fort. »Ihr hättet Frederic und mich mitgenommen, uns verköstigt und unser Zimmer bezahlt, und in ein oder zwei Tagen wäre in die Schatzkammer von Constãntã eingebrochen worden oder in eine Kirche oder das Haus eines reichen Kaufmanns …«
»Und sie hätten einen Teil der Beute bei euch gefunden und den Jungen und dich aufgehängt«, führte Sergé den Satz zu Ende. Er lachte hart. »Das wolltest du doch sagen, oder?«
»So ungefähr«, sagte Andrej. »Hätte ich recht gehabt?«
»Wer weiß«, sagte Sergé. »Du bist gar nicht so dumm, Andrej Delãny - für einen Hinterwäldler jedenfalls.« Er grinste, aber Andrej entging keineswegs, daß seine Hand zum Gürtel kroch und wie durch Zufall in der Nähe des
Dolches liegenblieb. »Und was hast du jetzt vor? Willst du zu den Soldaten laufen und ihnen erzählen, was du erfahren hast?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Ich wollte nur wissen, woran ich bin.«
»Dann geht es dir genau wie mir«, sagte Sergé lauernd. »Wo wir schon einmal dabei sind, Delãny - warum erzählst du uns nicht, wer du wirklich bist und was du mit diesen Männern zu schaffen hast, die das Gasthaus niedergebrannt haben?«
Andrej warf einen langen Blick zu Frederic hinüber. Der Junge schlief, aber er hatte noch immer keine Ruhe gefunden. Seine Hände bewegten sich ununterbrochen, und manchmal stöhnte er leise. Wäre es nur um Frederic und ihn gegangen, dann wäre er wohl spätestens jetzt aufgestanden und hätte die beiden angeblichen Brüder verlassen. Aber es ging nicht nur um sie beide. So unbehaglich ihm selbst bei dem Gedanken zumute war - er brauchte Hilfe.
Er löste den Blick mit einiger Mühe von dem schlafenden Jungen, sah einen Moment lang Sergé und dann sehr viel länger Krusha an … und dann begann er schließlich mit leiser, fester Stimme zu erzählen.
7
Andrej schwamm mit ruhigen, kraftvollen Zügen durch die Brandung. Das Wasser war so kalt, daß er zitterte, und statt ihn zu erfrischen, schien die Kälte nur noch mehr an seinen Kräften zu zehren. Trotzdem schwamm er nicht zum Ufer zurück, sondern bewegte sich mit einem Dutzend wuchtiger Schwimmstöße weiter aufs offene Meer hinaus.
Er achtete streng darauf, niemals länger als eine Minute unter Wasser zu
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