Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1
habt Ihr es überhaupt getan?« fragte Andrej. Als Ják nicht direkt antwortete, sondern ihm nur einen spöttisch-fragenden Blick zuwarf, fügte er hinzu: »Ich meine: Ihr seid ein Edelmann, habe ich recht? Kein einfacher Bediensteter, wie Ihr Krusha und seinen Bruder glauben machen wollt, sondern ein Mitglied des Hofstaates. Vielleicht sogar ein enger Vertrauter des Herzogs selbst.«
»Ihr habt ein scharfes Auge, Delãny«, sagte Ják.
»Wieso bestehlt Ihr Euren Herrn? Wenn Ihr gefaßt werdet, wird man Euch hängen.«
»Hängen? Oh nein, so gnädig ist unser Herr nicht.« Ják lachte leise. »Um Eure Frage zu beantworten: Auch Edelleute müssen essen, ihre Ländereien unterhalten und ihre Bediensteten bezahlen. Es gibt manche, die die Ehre, für den Herzog arbeiten zu dürfen, als hinreichende Belohnung ansehen. Leider aber füllt Ehre keine leeren Bäuche. Und unser Herr ist nicht besonders großzügig.« Er deutete ein Achselzucken an. »Darüber hinaus haben etliche der Goldstücke, die jetzt in seiner Schatztruhe sind, ihren Weg aus meinem Geldbeutel dorthin gefunden. Und jetzt schweigt. Hier haben die Wände Ohren.«
Sie hatten den Hof mittlerweile zur Hälfte überquert, und Andrej sah sich verstohlen um. Die Anlage der Festung war einfach, aber sehr zweckmäßig konzipiert: Links vom Torhaus erhob sich ein halb aus Stein, halb aus einfachem Fachwerk erbautes Gebäude, das wahrscheinlich die Stallungen sowie die Waffen- und Vorratskammer beherbergte. Daneben befand sich eine Anzahl kleinerer Häuser – Gesinde -und Wirtschaftsgebäude, wie Andrej annahm -, die aussahen, als stammten sie aus verschiedenen Jahrhunderten; und dem Tor gegenüber lag schließlich der Palas, ein beinahe freundlich wirkendes, dreigeschossiges Haus mit großen Fenstern, einer einladenden Freitreppe und einer Anzahl kleiner, offensichtlich nur der Zierde dienender Türmchen und Erker.
Beherrscht wurde die gesamte Anlage jedoch von einem gewaltigen, mindestens hundert Fuß hohen Donjon, dessen Architekturstil und Baumaterial sichtlich älter waren als der gesamte Rest der Festung. Der Eingang befand sich auf zwanzig Fuß Höhe am Ende einer schmalen, leicht zu verteidigenden Treppe, und es gab nur wenige, an Schießscharten erinnernde Gucklöcher. Dieser Turm war für sich genommen schon eine Festung, eine Burg innerhalb der Burg, die zu stürmen so gut wie unmöglich sein mußte.
»Beeindruckend, nicht wahr?« fragte Ják. Andrejs prüfender Blick war ihm nicht entgangen. »Er wurde im Laufe seiner Geschichte ein dutzendmal belagert, aber niemals eingenommen.«
Andrej blickte nach oben, zu dem einzigen trüb erleuchteten Fenster unterhalb der zinnengesäumten Spitze des Turmes. »Ich frage mich, was das für ein Mensch sein mag, der es vorzieht, in einem so düsteren Gemäuer zu leben statt in einem Haus.« Er deutete auf den Palas.
»Vielleicht ein Mensch, der Sicherheit dem Luxus und der Verweichlichung vorzieht«, antwortete Ják und lachte spöttisch. »Die Welt ist schlecht, Andrej. Constäntä hat viele Neider.« Er machte eine knappe Geste. »Still jetzt!«
Sie hatten den Hof überquert und näherten sich dem Turm. Um ihn zu erreichen, mußten sie entweder einen ebenso überflüssigen wie auffälligen Bogen schlagen oder nahe an der Freitreppe vorbeigehen, die zum Palas hinaufführte … Und selbstverständlich öffnete sich genau in dem Moment, in dem Andrej und Ják darunter vorbeiliefen, die Tür am oberen Ende der Treppe.
Ein halbes Dutzend Bewaffnete sowie einer der beiden Goldenen, dessen Namen er nicht kannte, und die Schwester des Inquisitors traten heraus. Andrej senkte sofort den Blick, unterdrückte aber den Impuls, seinen Schritt zu beschleunigen. Für einen kurzen, ihm dennoch unendlich lang erscheinenden Augenblick glaubte er, daß ihn der Ritter erkannt hatte, ja erkennen müßte, wenn er nur für einen Moment den Kopf zu ihm wandte. Doch der Goldene lief mit schnellen Schritten die Treppe hinab, ohne auch nur einmal aufzusehen. Maria und die Männer des Herzogs folgten ihm etwas langsamer. Domenicus’ Schwester trug das Haar nun zu einem strengen Knoten hochgesteckt. Ihr blutbesudeltes Kleid hatte sie gegen ein schlichtes schwarzes Gewand getauscht, und ihr Gesicht verbarg sich hinter einem halbtransparenten, durchbrochenen Schleier. Sie sah noch schöner aus als bei ihrer Begegnung am Morgen auf dem Marktplatz.
»Macht Euch keine Hoffnungen, Andrej«, sagte Ják spöttisch. »Eine solche Frau ist nichts für
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