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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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beschimpfen.«
Er deutete noch einmal auf die Tür hinter sich, nickte Andrej zu und trat dann wortlos an ihm vorbei auf den Hof hinaus. Einen Augenblick später fiel die Tür zu, und Andrej fand sich in fast vollständiger Dunkelheit wieder. Für einen kürzen Moment war er felsenfest davon überzeugt, daß er in der nächsten Sekunde das Geräusch des Riegels hören würde, mit dem Ják ihn einschloß; dann aber erinnerte er sich, daß der Riegel auf der Innenseite der Tür war. Er war auf dem besten Wege, Gespenster zu sehen. Wenn sein Helfer ihn in eine Falle locken wollte, dann hätte er das schon längst getan.
Andrej streckte den linken Arm aus, ging mit vorsichtigen kleinen Schritten los und erreichte die Tür, die Ják ihm gezeigt hatte. Sie war nicht verschlossen. Als Andrej sie behutsam einen Spaltbreit öffnete, fiel ihm flackerndes, düsteres rotes Licht entgegen. Auf der anderen Seite befand sich die Treppe, von der Ják gesprochen hatte. Sie war viel schmaler, als Andrej angenommen hatte, vermutlich aber nur eine von mehreren, die im Inneren des Donjons in die Höhe führten.
Andrej lauschte. Die mehr als meterdicken Wände des Turmes verschluckten jeden Laut von außen, aber das bedeutete keineswegs, daß es hier drinnen still gewesen wäre. Aus der Tiefe des Treppenschachtes drangen dumpfe, im einzelnen kaum zu identifizierende Laute zu ihm empor. Er gestattete seiner Phantasie nicht, sie mit dem in Verbindung zu bringen, was Ják ihm vor wenigen Minuten berichtet hatte; das hätte ihn womöglich stärker von seiner Aufgabe abgelenkt, als er es sich erlauben durfte.
Schnell, aber ohne zu rennen, bewegte er sich die Treppe hinauf. Auch von oben drangen ihm Geräusche entgegen, die aber eindeutig natürlichen Ursprungs waren: Das an- und abschwellende Heulen, mit dem der Wind durch die steinernen Zinnen des Turmes fuhr, manchmal ein Knistern und Ächzen, das die uralten Balken und mächtigen Steinquader des gewaltigen Gebäudes von sich gaben. Diese Art von Geräuschen erschreckte Andrej nicht, denn er kannte sie. In seiner Kindheit hatte er oft unerlaubt im Wehrturm von Borsã gespielt, einem vielleicht nicht ganz so großen, aber mindestens ebenso alten und kaum weniger wuchtigen Bauwerk.
Er kam nur dann und wann an einer der Fackeln vorbei, die flackerndes, aber nur schwaches Licht sowie Ruß verbreiteten; dazwischen gab es immer wieder große, vollkommen lichtlose Bereiche - und der Weg nach oben schien einfach kein Ende nehmen zu wollen.
Die Treppe endete nach gut zweihundert Stufen vor einer aus massiven Bohlen gefertigten Tür, die zusätzlich mit schweren Eisenbändern verstärkt war. Das Holz war so alt, daß es sich wie Stein anfühlte, und obwohl die Tür nicht verschlossen war, kostete es Andrej enorme Anstrengung, sie weit genug aufzuschieben, um durch den Spalt hindurchschlüpfen zu können. Der Riegel auf der anderen Seite war so massiv, daß er wahrscheinlich dem Ansturm von hundert tobenden Stieren standgehalten hätte. Ják hatte mit seiner Bemerkung, der Herzog lege großen Wert auf Sicherheit, nicht übertrieben.
Nachdem er sich durch den Spalt gequetscht hatte, schob Andrej die Tür wieder sorgfältig zu und sah sich aufmerksam um. Er befand sich in einer schmalen Nische, die auf einen weitaus breiteren und besser beleuchteten Gang hinausführte. Die Treppe, über die er heraufgekommen war, stellte vermutlich nicht den offiziellen Aufgang dar, sondern war möglicherweise ein geheimer Fluchtweg für den - unwahrscheinlichen - Fall, daß der Turm doch einmal gestürmt wurde. Der Herzog hatte wirklich an alles gedacht.
Andrej schob sich behutsam vor und lugte um die Ecke. Wie Ják gesagt hatte, endete der Gang nach zehn oder fünfzehn Schritten vor einer geschlossenen Tür, die von einem Soldaten in den Farben des Herzogs bewacht wurde. Es wäre geschmeichelt gewesen zu sagen, daß der Mann seine Aufgabe nicht ernst nahm. Er stand, halb auf seinen Speer gestützt, halb gegen die Wand gelehnt, da und schnarchte so laut, daß Andrej dies selbst von seinem Versteck aus deutlich hören konnte. Andrej warf einen raschen, sichernden Blick in die andere Richtung, um sich zu vergewissern, daß Jáks Behauptung, es gebe zur Zeit nur diesen einen Wachtposten, zutraf; dann trat er aus der Nische heraus und bewegte sich schnell und nahezu lautlos auf die Tür am Ende des Korridors zu.
Er war vollkommen sicher, keine unvorsichtige oder gar falsche Bewegung gemacht zu haben - trotzdem mußte der

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