Hokus Pokus Zuckerkuss
wie ein zwölfjähriges Schulmädchen, das plötzlich in die Pubertät geraten ist.
»Wegen einer Cocktailparty in der Fakultät.« Er greift in die Tasche seines Jacketts und zieht seine Schlüssel hervor. Dabei fallen die dunklen Haare – wie immer, wenn ich ihn treffe, müssten sie geschnitten werden – über seine Augen. Diesen günstigen Moment nutze ich, um Einzelheiten an ihm zu inspizieren, solange er mich nicht sieht.
Zum Beispiel trägt er exquisite italienische Lederschuhe, mindestens in der Fünfhundert-Dollar-Kategorie, wenn mich nicht alles täuscht. Auch der Anzug, der seine breiten Schultern perfekt umrahmt,
muss ziemlich teuer gewesen sein. Auf dieser Straße wirkt er völlig deplatziert. An der Ecke ist ein runtergekommenes Offtrack-Wettbüro, im Nachbarhaus ein japanischer Nudelladen und daneben eine miese Kneipe. Und Chaz steht in diesem Anzug hier herum? Wie James Bond, der unversehens in der Sackgasse eines Slums voller Müll gelandet ist…
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe«, entschuldigt er sich und hebt den Kopf. Sobald er mich anschaut, weiche ich seinem Blick aus und spüre, wie das Blut in meine Wangen steigt. Hoffentlich merkt er’s nicht. »Wartest du schon lange?«
»Nein«, lüge ich hastig, »gar nicht lange.« O Gott, was stimmt denn nicht mit mir?
»Wenigstens regnet es nicht. Komm rein, ich spendiere dir einen Drink.« Er sperrt die Haustür auf, und ich folge ihm, als er zu seinem Briefkasten geht und die Post herausnimmt. Geradezu unheimlich, wie schüchtern ich mich fühle … Liegt das an den Purzelbäumen in meiner Brust oder daran, dass ich über Valencia Bescheid weiß, oder an Chaz’ ungewohnter äußerer Erscheinung? Jedenfalls gewinne ich den Eindruck, ich wäre mit einem Fremden zusammen – nicht mit dem Mann, den ich seit meinem ersten College-Jahr kenne und der mich in der Cafeteria von McCracken Hall so schrecklich zum Lachen gebracht hat, dass mir die Milch von meinen Cornflakes aus der Nase gelaufen ist.
»Und wie geht’s dir?«, will er wissen, während wir die Stufen zu dem Apartment hinaufsteigen, das er sich früher mit Shari geteilt hat und das er jetzt allein
bewohnt. »Anscheinend sehe ich dich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit ohne Anhängsel.«
Weil ich eine Begegnung mit dir ohne den Schutz meines Verlobten meide – damit nicht passiert, was ich soeben erlebt habe, dieses grässliche Herzflimmern. Natürlich spreche ich das nicht aus. »Oh …«, antworte ich leichthin. Dieses Treppenhaus ist noch schäbiger und deprimierender als meins. Doch meins ist nicht mit alten Zeitungen und leeren Schachteln von chinesischem Fast Food übersät, da niemand außer mir die Stufen im Henri-Haus benutzt.
»Nun, ich hatte alle Hände voll zu tun. Im Sommer heiraten wahnsinnig viele Leute.«
»Kann ich mir vorstellen.« Wir erreichen sein geräumiges Apartment (schiefer Boden, zwei Schlafzimmer, falls man einen Alkoven als Zimmer bezeichnen kann), und er sperrt verschiedene Schlösser auf. »Laut Luke arbeitest du so hart wie keine andere Frau in Manhattan. Er sagt, er sieht dich kaum noch. Und da du auch noch deine eigene Hochzeit planen musst, bist du vermutlich restlos mit Arbeit eingedeckt.«
Wo ist Valencia?, überlege ich. Treffen wir sie im Restaurant? Oder hier? Ich würde gerne danach fragen. Andererseits möchte ich sie nicht erwähnen. Offenbar kriege ich es nicht hin, ihren Namen auszusprechen. Valencia. O Gott, wie ich sie hasse …
»Ja, ich bin sehr beschäftigt«, bestätige ich stattdessen und lache. Unglücklicherweise klingt es wie das Wiehern eines Ponys.
Mit dem Schlüsselbund in der Hand hält Chaz inne. »Entschuldige – hast du gerade gewiehert?«
»Nein«, erwidere ich blitzschnell.
»Mein Fehler«, sagt er und befasst sich wieder mit seinen Schlössern.
Endlich öffnet er die Tür, und ich folge ihm in sein Domizil, dankbar für die kühle Luft, die von der breiten Fensterfront herüberweht. In Lukes Apartment, das seiner Mutter gehört, ist es sofort nach meinem Auszug ziemlich muffig gewesen. (Seit einem Wochenendbesuch in der City schickt Mrs. de Villiers regelmäßig eine Putzkolonne in die Wohnung. Und das beweist, dass ihr Sohn unfähig ist, das Geschirr zu spülen oder die Toilette selber zu reinigen.) Chaz ist super-penibel, abgesehen von den Büchern und Seminararbeiten, die sich überall stapeln.
Nun, wenigstens sind es ordentliche Stapel.
»Was willst du trinken?« Er geht in die Wohnküche (eine
Weitere Kostenlose Bücher