Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
haben wollte. Ich musste sogar neue Shows konzipieren.
In dieser Zeit lernte ich auf einer Modenschau in Prag einen italienischen Designer kennen, der in der Tschechoslowakei ein Modelabel etablieren wollte und jemanden suchte, der ihm beim Aufbau der Firma half. Er zeigte sich sehr interessiert, mit mir zusammenzuarbeiten. Ja ja, dachte ich, red du nur, gab ihm meine Adresse und Telefonnummer mit den Worten: »Melde dich gern, wenn du kommst«, und lebte mein Leben weiter.
4. – PARALLELWELTEN
Jorge entdeckt die Welt
Sommer 1990. Eine Freundin saß gerade bei mir zu Hause in Bratislava, als es an der Tür klingelte. Ich schaute zum Balkon runter, da stand ein blonder Mann vor einer schwarzen Limousine und rief: » Vieni , komm!« Der italienische Designer.
»Äh, was machst du denn hier?«, fragte ich etwas verwirrt, als ich ihm die Tür aufmachte.
»Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich mich melde. Los komm mit, wir gehen nach Prag, zum Arbeiten.«
»Aber …«
»Du brauchst nichts mitzunehmen. Unten im Wagen habe ich zwei Koffer mit Klamotten für dich. Wir müssen sofort nach Prag, denn wir haben morgen schon ein paar Meetings, und ich brauche dich als Übersetzer.«
Ich hatte mittlerweile gut Italienisch von meiner Freundin Christina gelernt, die aus Assisi stammte. Sie studierte damals am Konservatorium von Bratislava Klavier bei einem bekannten Professor, und ihr Klavier war ihr Spielzeug, ihr Hobby, ihr bester Freund. Ihr Ein und Alles. Sie war immer elegant mit italienischem Schick gekleidet und trug fast nur Bleistiftröcke und High Heels. Von Christina habe ich aber nicht nur die Sprache gelernt, sondern sie servierte mir auch die ersten originalitalienischen Spaghetti und meine erste Nutella.
Aber zurück zu dem Besuch des Designers. In Sekundenschnelle zog ich Bilanz: Kaum jemand würde später einen Kubaner im Ausland als Nuklearökologe einstellen. Nach Kuba zurückzugehen, kam nicht infrage. Die kubanische Show, die ich für den Nachtclubbesitzer auf die Beine gestellt hatte, war zu Ende, und ich arbeitete gerade nur als Model. Da ich die Modebranche mochte und in dem Angebot des Designers eine neue Herausforderung sah, packte ich ein paar Sachen zusammen und fuhr mit ihm nach Prag.
Der Designer plante, eine komplette Damen- und Herrenkollektion in der Tschechoslowakei zu produzieren und zu vertreiben. Komplett bedeutete: Kleidung, Schuhe, Accessoires, Koffer, Strickwaren, alles.
Prag wurde von da an zum Mittelpunkt meines Lebens. Die Stadt war damals pure Energie, denn die Menschen kosteten ihre neu gewonnene Freiheit aus. Außerdem war die Arbeit für den Designer eine tolle Chance. Da ich noch keine Fachkenntnisse hatte, half ich ihm erst mal als Übersetzer für Tschechisch, Slowakisch und Italienisch aus und arbeitete mich dann sehr schnell in die einzelnen Bereiche des Geschäfts ein. Wir kreierten, organisierten und produzierten eine Kollektion für Damen und Herren. Nach der Arbeit besuchte ich einen Intensivkurs für Textilmarketing, wo ich alles über die verschiedenen Materialien lernte, aber auch über Textilproduktion, Vertrieb, Kalkulation sowie Im- und Export. In der postsozialistischen Ära waren die Methoden einer freien Marktwirtschaft noch weitgehend unbekannt. Wir konnten in diesem Kurs zwar auf aktuelle Unterlagen zurückgreifen, aber in der Praxis wusste keiner, wie man wirtschaftlich profitabel produzierte und verkaufte. Nach diesem Kurs leitete ich die Firma in Prag. Ich suchte Produktionsstätten für die Kollektion, führte die Verhandlungen und überwachte die Herstellung. Im Laufe der Zeit kooperierten wir mit etwa fünfzehn Fabriken, und ich vertrieb die Mode in der gesamten Tschechoslowakei.
Nebenbei jobbte ich immer wieder mal als Model, Stylist oder Choreograf für Fashionshows ausländischer Modefirmen. Für Olga Havlová, die Frau von Staatspräsident Václav Havel, organisierte ich Charity-Fashion-Shows, deren Erlös ihrer Wohltätigkeitsorganisation »Good Will Committee« zugutekam. Durch all die verschiedenen Aktivitäten in der Modebranche und meine Aufgaben als Repräsentant der italienischen Firma, machte ich mir irgendwann einen Namen in der Medienwelt und tauchte auch ab und zu in der Yellow Press auf.
In dieser Zeit war es mir nicht möglich, das Land zu verlassen. Nach Kuba durfte ich nicht, und ins Ausland konnte ich nicht, weil ich keinen Pass besaß. Erst als mir die kubanische Botschaft Ende 1990 endlich meinen Pass wiedergab, fing ich
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