Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
des Eisernen Vorhangs waren die ehemals sozialistischen Länder quasi von heute auf morgen von Unterstützern zu Gegnern geworden. Kuba verlor mit dem Wegfall der osteuropäischen Bruderstaaten fast drei Viertel seiner Außenhandelsmärkte. Und da die USA und die westliche Welt das Handelsembargo gegen Kuba aufrechterhielten, durften nur noch die allernötigsten Lebensmittel ins Land eingeführt werden. Es kam ab 1990 zu der sogenannten periodo especial en tiempo de paz, der Sonderperiode in Friedenszeiten. Oder anders ausgedrückt: zu einer der schlimmsten wirtschaftlichen Krisen – Kuba war ganz allein auf sich gestellt.
Die Menschen konnten kaum arbeiten, weil die Rohstoffe fehlten, sie hatten kein Geld und sehr wenig zu essen. Wer noch Tiere besaß, hielt sie im Haus, weil sie sonst oft gestohlen wurden. Das Badezimmer wurde zum Stall, in dem Hühner oder Schweine lebten. Die Häuser wurden mit Stacheldraht und Zäunen abgesperrt, damit niemand einbrechen konnte. Die Frauen verkauften ihren Goldschmuck, um an Dollar zu kommen, und sie zahlten jede Menge Gebühren beim Umtausch. Meine Mutter erzählte mir später, dass man in einigen speziellen Shops für einen Dollar ein Stück Seife kaufen konnte – in den normalen Läden gab es keine mehr. Dafür musste man rund hundertfünfzig kubanische Pesos einwechseln, was etwa einem durchschnittlichen Monatslohn entsprach. Es war eine katastrophale Zeit: Am härtesten waren die Jahre von 1990 bis 1995. Die Menschen hatten nichts. Ein guter Freund erzählte mir später, dass er einmal auf dem Schwarzmarkt Rindfleisch für sich und seine Familie kaufte. Als er das Fleisch zubereiten wollte, entdeckte er darin Katzenzähne. Wegschmeißen und hungern oder Augen zu und durch? Er entschied sich, die Katzenzähne zu entsorgen und das Fleisch so lange zu kochen, bis niemand mehr merkte, was er da servierte. Und zu all dem Unglück fiel auch noch regelmäßig der Strom aus, oder es gab kein Wasser –manchmal zwölf Stunden oder sogar tagelang.
Alles, was ich in dieser Zeit über Kuba erfuhr, wusste ich aus den spärlichen Medienberichten. Und ich hatte Angst, dass die Realität noch viel schlimmer war. Ich hätte so gern geholfen. Da ich aber nicht nach Kuba einreisen durfte, konnte ich meiner Familie mit meinem Ersparten nicht helfen.
Für meine Mutter waren diese Jahre schrecklich, denn sie wusste nicht einmal, ob ich überhaupt noch am Leben war. Sie verstand nicht, warum man eine Familie im Ungewissen über ihren Sohn ließ und einer Mutter so etwas antat. Staatsbeamte hatten sie verhört und das Haus durchsucht, aber niemand sagte ihr, wo ich war und wie es mir ging.
Ich versuchte zwar immer wieder, nach Kuba zu telefonieren, kam aber nie zu meiner Familie durch. Ich schrieb Briefe, die auch nie ankamen. Denn die Kommunikation in Kuba war wie in den anderen sozialistischen Ländern zentral organisiert und wurde streng kontrolliert. Briefe wurden abgefangen, und Ferngespräche waren so gut wie unmöglich. Ich musste mich immer erst mit einer Telefonzentrale in Havanna verbinden lassen, von wo das Gespräch in die jeweilige Provinz weitergeleitet und schließlich zu dem gewünschten Anschluss durchgestellt wurde. Die Nummer meiner Familie jedenfalls war aus dem Ausland nicht zu erreichen. Das Gespräch wurde gekappt, noch bevor es bei meinen Eltern läutete.
Ich probierte es über die Nachbarn meiner Eltern. Wieder das Gleiche: Ich fing an zu sprechen, es knackte, und die Leitung war tot. Einmal sagte mir eine Telefonistin: »Okay, ich stelle durch.« Als ich das Verbindungsgeräusch hörte, rief ich aufgeregt: » Hola , wer ist denn da? Ich bin’s, Jorge.« Doch kaum hatte ich das gesagt, hörte ich auch schon die Stimme der Telefonistin, die mir sagte, dass leider niemand zu erreichen sei. Egal was ich probierte, immer ging ich irgendwo zwischen Havanna und Jatibonico in der Telefonleitung verloren.
Meine Eltern wussten in diesen Jahren nur, dass ich beschlossen hatte, in der Tschechoslowakei zu bleiben. Unmittelbar nach der Versammlung, bei der über meine Zukunft entschieden worden war, gelang es mir, eine meiner Cousinen, die in Havanna arbeitete, zu erreichen. »Ich komme nicht zurück. Sag Mama, dass es mir gut geht«, bat ich sie. Einzelheiten erfuhr meine Mutter erst Monate später, als meine Freundin Ina nach Kuba zurückkehrte. Sie besuchte meine Eltern und erzählte ausführlich, was geschehen war. Doch danach brach die Kommunikation ab. War ich noch in
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