Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
so attraktive und lebensfrohe Frau gewesen. Sie sah wunderschön aus – so als würde sie schlafen.
In dem Moment, als wir den Sarg vor dem Bestattungsinstitut in den Leichenwagen hoben, kam die Sonne raus. Das Wetter blieb strahlend schön, bis die Beerdigung und alle Feierlichkeiten vorbei waren. Am Nachmittag zogen Wolken auf, der Wind kam zurück, und es fing wieder an zu regnen. Das Unwetter kehrte zurück und wütete erneut über Kuba, sodass wir mehrere Tage weder Strom noch fließend Wasser hatten. Als alles vorbei war, bot sich ein Bild der Verwüstung, mit abgedeckten Dächern und umgefallenen Strommasten und entwurzelten Bäumen.
Ein paar Wochen später brachte meine Cousine ihre Tochter auf die Welt. Sie heißt Thalia.
Die Zeit nach dem Tod meiner Mutter waren schwarze Tage für mich. Ich habe mich oft zurückgezogen und geweint. Manchmal sieben oder acht Stunden lang, weil ich einfach nicht mehr aufhören konnte. Jeder, der jemanden verliert, den er liebt, fragt sich: Warum? Warum ausgerechnet dieser Mensch? Ich hatte das Epizentrum meines Lebens verloren. Normalerweise habe ich meine Emotionen gut im Griff, aber wenn ich über meine Mutter spreche, dann geht das nicht. Der Schmerz über ihren Tod saß und sitzt ganz tief in meinem Herzen und wird ein Leben lang dortbleiben. Wenn ich über meine Mutter spreche, bekomme ich meine Emotionen nicht in den Griff.
Zugleich empfinde ich ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Für mich ist es ein großes Glück, die Liebe meiner Mutter gehabt zu haben. Und es ist der größte Luxus, dass ich ihr das zurückgeben konnte. Meine Mutter und mein Vater mussten sich immer viel Gerede und böse Bemerkungen über ihren homosexuellen Sohn anhören. Deshalb war es ein großes Geschenk für mich, als sie sich auf dem Sterbebett meiner Mutter bei mir dafür bedankten, dass ich für sie da war. Einen größeren Luxus gibt es nicht.
Mein größter Luxus hat für mich nichts zu tun mit materiellem Erfolg, sondern damit, dass ich es mir leisten konnte, meine Mutter drei Jahre lang zu begleiten und zu pflegen, bis sie am Ende in meinen Armen starb. Ich hatte die Freiheit, mir selbst und meiner Familie meine Zeit schenken zu können.
Mein größter Luxus war zugleich das Schlimmste, was mir bisher im Leben passiert ist. Ironie des Schicksals. Ich genieße mein Leben, wie es ist, und freue mich an dem, was ich habe. Aber, wenn ich könnte, würde ich alles hergeben, um meine Mutter wiederzubekommen.
In dem Moment, als ich sie losließ, wurde mir klar, wie schnell das Leben vergeht. Eben noch hatte ich ihre Hand gehalten, und dann kam schon der Arzt, der ihren Tod bescheinigte, den Leichnam freigab, und sie in einen Sarg legte. Mein Gott, dachte ich, dieser Mensch ist jetzt weg – für immer. Ich kann meine Mutter nicht mehr anfassen, nicht mehr küssen. Ihr Platz ist leer. Und wir enden alle so. Denn jeder von uns wird früher oder später sterben. Ich habe keine Zeit, um zu hassen oder negative Energie zu verbreiten. Schlechte Laune lohnt sich nicht. Es ist normal und menschlich, sich auch mal zu ärgern oder einen miesen Tag zu haben. Doch seit dem Tod meiner Mutter konzentriere ich mich noch mehr auf das Positive, wenn ich mal schlecht drauf bin.
Für meinen Vater war die Zeit sehr schwer. Da hast du fünfundfünfzig Jahre mit einem Menschen so eng zusammengelebt, und auf einmal ist er nicht mehr da. Mein Vater ist ein sehr starker Mann, aber ich konnte die Traurigkeit in seinen Augen lesen. Eines Abends wollte er duschen und ging nach draußen, um sein Handtuch zu holen, das ich morgens zum Trocknen in die Sonne gehängt hatte. Ich sah ihn etwas ratlos vor dem Wäscheständer stehen. Er war gewohnt, dass meine Mutter alles für ihn machte und ihm sogar nach dem Duschen sein Handtuch brachte. Als er da im Garten stand und vor sich hin murmelte: »Hm, welches Handtuch ist meines?«, verstand er, dass seine Frau nicht mehr da war.
Für mich gibt es nichts Schlimmeres als den Tod meiner Mutter. Ich sage immer: »Keiner hat meine Mutter so geliebt wie ich.« Das ist eigentlich egoistisch, denn für meinen Vater war sie sein Leben. Fünfundfünfzig Jahre mit einem Menschen sind ein ganzes Leben. Und nun musste er ohne sie weitermachen.
Mein Vater wollte meine Mutter unbedingt, als er jung war. Er war ein gut aussehender Mulatte und, wie seine Brüder auch, immer schick gekleidet. Sie waren verschrien als Los Caraballos, weil die Plantage ihres Großvaters so hieß. Wenn sie
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