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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
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noch immer auf dem Patientenstuhl. „Sie können gehen“, wiederholte die Ärztin und dachte, andere können es nicht mehr.
    Ich muss ihn noch einmal sehen, dachte Leonie, als sie, etwas mühsam mit ihrem Gipsbein durch die Unfallabteilung Richtung Intensivstation ging und sich bemühte, nicht aufzufallen. Sie musste wissen, wie es ihm ging, denn wenn er, wenn er, sie wagte kaum, diesen Gedanken zuende zu denken, wenn er gestorben war, dann war sie eine Mörderin. Dann war auch ihr Leben zu Ende. Mit dieser Schuld würde sie nicht weiterleben können.
    Die Tür zur Intensivstation war geschlossen, ein junger Mann saß davor und las in einem Buch, offensichtlich ein Krankenpfleger. Als Leonie vor ihm stand, sah er auf und lächelte: „Was kann ich für Sie tun?“ Sie lächelte zurück: „Ich hab’ zufällig erfahren, dass der Mann meiner Kollegin auf Ihrer Station liegt, und da wollte ich ...“ „Sie wissen, dass ich Ihnen nicht ...“, fing er an und Leonie unterbrach ihn mit dem flirtigsten Augenaufschlag, der ihr unter diesen Umständen möglich war. „Sie unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht, das weiß ich, aber vielleicht machen Sie eine klitzekleine Ausnahme für mich?“ Der Pfleger sah sie an und Leonie wusste, dass sie es gleich erfahren würde. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, ihr Mund lächelte, das kleine Grübchen auf dem Kinn vertiefte sich. „Bitte. Geht es ihm besser?“ „Den Umständen entsprechend“, sagte der Pfleger und Leonie hätte ihn schütteln können. Sie hasste diesen Satz. Was bedeutete – den Umständen entsprechend? Lebendig, tot? Was?
    „Wie sind denn seine Umstände?“, fragte sie und es gelang ihr, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. Er musterte sie. Wie viel konnte sie vertragen? Sie sah zart und müde aus. Sicher nicht die ganze Wahrheit.
    „Er liegt noch im Koma“, sagte er dann. „In ein paar Tagen wissen wir alle mehr. Wir sind zuversichtlich, dass er überleben wird.“
    Leonie hörte Schritte hinter sich und als sie sich umdrehte, sah sie die hochgewachsene Frau wieder. Seine Frau. Diesmal trug sie einen olivgrünen Mantel, sie sah blass und schön aus wie eine Witwe. Mit den Worten: „Vielen Dank für Ihre Auskunft,“ ging sie weiter, ohne auf die erstaunten Blicke des Pflegers zu achten, der sich natürlich darüber wunderte, warum sie vor der Frau davonlief, nach deren Ehemann sie sich gerade erkundigt hatte. Er wird mich für seine Geliebte halten, dachte sie und es war ihr egal.
    Sie würde wiederkommen.
    Sie musste ihn wiedersehen.
    Er war ihr Schicksal.

13. Kapitel
    Leonie schloss ihre Wohnungstür auf und es kam ihr geradezu unglaublich vor, dass alles noch unverändert war. Die beiden sonnengelben Müslischüsseln standen noch verklebt in der Spüle, die Wäsche steckte noch im Trockner, die Zeitung lag noch auf dem Küchentisch. Alles ganz normal. Nichts in ihrer kleinen, friedlichen Wohnung deutete darauf hin, dass sich in ihrer Abwesenheit ihr gesamtes Leben geändert hatte. „Welcome home!“, Marius hatte sie gehört und kam mit Luna und Malte aus der Küche. „Schön, dass du wieder da bist.“ Sie umarmten sich kurz und wieder dachte sie flüchtig, wie leicht ihr Leben sein könnte, wenn sie ihn nur lieben könnte. „Mami, Mami“, Luna hatte ihre Beine umklammert und Leonie schrie auf, denn sie hatte auch das Gipsbein mitgedrückt. „Autsch, mein Schatz, du tust mir weh“, rief sie. „Willst du mir was aufs Bein malen?“, fuhr sie schnell fort, als sie das unglückliche, kleine Gesicht ihrer Tochter sah. „Mit Filzie?“, rief Malte und als Leonie nickte, stürmten die beiden Kinder Richtung Kinderzimmer und kamen Sekunden später mit zwei dicken Filzstiften wieder. „Was wir wollen?“, fragten sie eifrig und Leonie sagte: „Nur was Hübsches“, denn sie wollte nicht den Rest ihrer Gipszeit mit lauter kleinen Monstern auf dem Bein herumlaufen. „Ich mal ein Herz“, rief Luna. „Und du darfst eine Blume dazumalen“, erlaubte sie Malte großzügig. „Aber nur eine klitzekleine. Mein Herz ist nämlich riesengroß.“
    Es war klar, wer in dieser Beziehung das Sagen hatte und die Blicke von Leonie und Marius kreuzten sich. „Wie geht es dir?“, fragte er leise, und genauso leise antwortete sie: „Besch...“, dann schaute sie an ihrem Bein herunter, ein großes, etwas krakeliges Herz mit Mama, daneben ein kleines Blümchen. „Das habt ihr ganz wunderbar gemacht“, lobte sie. „Und jetzt Abmarsch. Marius und

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