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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
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Hendriks Bettkante so ruhig und sicher wie früher auf dem Schoß ihrer Großmutter. Solange ich bei ihm bin, kann mir nichts passieren, dachte sie, und ihm auch nicht. Wir gehören zusammen. Und während rings um sie herum die Monitore piepsten und ratterten, musste sie unwillkürlich lächeln. Ich bin angekommen, sagte ihr Herz.
    Sie hatte keine Ahnung, warum es eine so deutliche Sprache sprach.
    Nichts vorher und nichts danach würde in ihrem Leben je wieder vergleichbar sein. Warum bin ich so glücklich am Bett eines Schwerverletzten, der Opfer meiner Nachlässigkeit geworden ist?, dachte sie erstaunt. Sie wusste es nicht, sie fühlte es nur. Dieser Mann war ihre Bestimmung. Dieser Schwerkranke war die Liebe ihres Lebens.
    „Hallo“, flüsterte sie. „Ich bin die Leonie Baumgarten und es tut mir ganz schrecklich leid, dass ich ohne Licht gefahren bin und dass diese blöde Sherryflasche verrutscht ist, dabei mag ich doch überhaupt gar keine Zabaglione. Und ich werde jeden Tag für dich beten, damit es dir bald wieder gut geht.“
    Sie beugte sich über ihn und sah, dass seine Augenlider flatterten wie Engelsflügel. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die Schwester herbeieilte und wusste, es war höchste Zeit zu verschwinden. „Sagen Sie, wer sind Sie eigent…“, fing die Schwester an und bevor sie weiterreden und Fragen stellen konnte, die Leonie nicht beantworten wollte, war sie verschwunden. Die Krankenschwester blickte ihr nach. „Weißt du, wer das war?“, fragte sie den jungen Pfleger, der gerade am Nachbarbett einen Katheter setzte. „Vielleicht eine neue Kollegin“, meinte der.

11. Kapitel
    Leonie lag in ihrem Bett und war völlig durcheinander. Wer war dieser fremde Mann, der ihr so heftig und so ohne jede Vorwarnung derartig unter die Haut und ins Herz gefahren war? Ich liebe ihn, flüsterte sie, leise, damit sie ihre laut schnarchende Bettnachbarin, eine Gallenkolik, nicht aufweckte, ich liebe einen Mann, den ich noch nie gesehen habe und der vermutlich, wenn er mich sieht, sofort die Polizei rufen wird. Ich fühle mich magisch angezogen von einem Mann, der durch meine Schuld im Koma liegt.
    War sie verrückt geworden, spielte ihre überreizte Phantasie ihr einen Streich? Aber sie war bisher ein sehr bodenständiges Mädchen gewesen, stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen, neigte nicht zu Träumereien und Schwärmereien. Das Gefühl, das sie vor einer Stunde am Bett des Unfallopfers Hendrik von Lehsten gehabt hatte, den sie vorher nie gesehen, mit dem sie kein einziges Wort gewechselt hatte und der sie, wenn es dazu käme, vermutlich hassen würde, der außerdem ganz offensichtlich verheiratet war, dieses Gefühl war absolut einzigartig. Und es erfüllte sie mit Glück und Ruhe, auch wenn es ein Wahnsinn war und völlig aussichtslos.
    Obwohl die Nachtschwester ihr ein Schlafmittel gegeben hatte, war sie nicht müde. Sie stand auf und ging ans Fenster, schaute in den sternenklaren Nachthimmel hinaus. Ich bete für dich, flüsterte sie, ich weiß, dass es dir bald wieder besser gehen wird. Ich liebe dich. Es klingt total verrückt, aber es ist einfach so. Ich liebe dich. ICH LIEBE DICH.
    So stand sie da und wartete auf ein Zeichen. Und das Zeichen kam.
    Um 6.01 Uhr, genau der Sekunde, in der Hendrik von Lehsten einen Herzstillstand hatte und von dem Chirurgen wiederbelebt werden konnte, klopfte Leonie Baumgartens Herz so stark, so heftig, so wütend, dass sie unwillkürlich ihre Hand vor die Brust hielt, aus Angst, es würde herausplumpsen. Was geschieht mit mir?, dachte sie erschrocken und versuchte, tief durchzuatmen. Um sich abzulenken, rief sie Marius an.
    Er war sofort am Apparat: „Alles in Ordnung, die Kiddies liegen neben mir und wollen wissen, ob sie dir was aufs Gipsbein schreiben dürfen.“ Es war soviel passiert in den letzten Stunden, dass Leonie ein paar Sekunden brauchte, um wieder in ihre alte Welt einzutauchen. Eine Welt, in der sie Mutter war und keine Schuld hatte und einen guten Freund, auf den sie sich verlassen konnte. „Klar, können sie“, sie zwang eine Fröhlichkeit in ihre Stimme, von der sie weit entfernt war, aber das musste niemand wissen, das ging nur sie etwas an. „Gib mir mal die Luna.“
    „Mamiiiiii, wann kommst du wieder?“, kreischte die Kleine und Leonie hielt den Hörer vom Ohr und lächelte. „Ich hol dich vom Kindergarten ab, meine Süße, und dann gehen wir beide ein ganz großes Eis essen.“
    Als sie auflegte, fiel ihr ein,

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