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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
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zögerte, unfähig, die richtigen, irgendwelche Worte zu finden. „Hörst du mich, Hendrik?“, sagte sie schließlich und merkte selbst, wie hölzern und unemotional sie klingen musste. „Wir hatten einen Unfall, aber ich bin sicher, du wachst bald auf und dann wird alles wieder gut.“
    Und plötzlich konnte sie nicht mehr. Sie rutschte von ihrem Stuhl und fiel auf die Bettkante, wo sie kraftlos liegenblieb und gern geweint hätte. Aber selbst dieser Trost blieb ihr versagt. Es kamen keine Tränen. Nur der Wunsch, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Sie hob den Blick und sah, wie Hendriks Augenlider anfingen, leicht zu flattern. „Hendrik?“, flüsterte sie. In diesem Moment schlug Hendrik von Lehsten die Augen auf. „Wo bin ich?“, murmelte er. „Wo zum Teufel bin ich?“
    Marion zuckte zusammen, wie von der Tarantel gestochen. Sie stand auf, seine Augen waren weit offen, sie starrten sich an. „Du bist im Krankenhaus, mein Schatz“, sagte sie sanft. „Du hattest einen Unfall.“
    Und endlich, endlich konnte sie weinen. Es war wie eine Erlösung, als sich die Erstarrung in ihr löste und es war ihr egal, wie viel Schläuche und Kanülen in ihm steckten, sie beugte sich über ihn und küsste ihn auf seine klammkalte Stirn. „Ich liebe dich“, in diesem Moment meinte sie es aufrichtig, so erleichtert war sie, dass er es schaffen würde. „Und ich werde immer bei dir bleiben.“
    Was ist denn bloß los mit mir, dachte Hendrik, und beobachtete das geschäftige Treiben der Ärzte und Schwestern um sein Bett herum wie aus einer weit entfernten Galaxie. Er fühlte nichts, weder Angst noch Schmerzen oder Unruhe, die Medikamente, die durch die Schläuche in seine Venen liefen, machten ihn völlig empfindungslos. Eigentlich ein schöner Zustand, dachte er schläfrig. Wie auf einer weichen Wolke. Marion saß an seinem Bett und weinte. Warum weint sie, dachte er, es geht mir doch gut. Dass er sich nicht mehr bewegen konnte, spürte er schon deshalb nicht, weil er sich gar nicht bewegen wollte. Er empfand die weißen Kittel, die um ihn herumschwirrten, an ihm herumfummelten, ihn hin- und herrückten, als ausgesprochen lästig. Sie sollten ihn alle in Ruhe lassen. Er wollte etwas sagen, aber dann hatte er keine Lust dazu. Eine unendliche Gleichgültigkeit überkam ihn. Sie sollten alle weggehen. „Warum weinst du?“, fragte er seine Frau endlich, obwohl es ihn gar nicht besonders interessierte, aber er hatte das Gefühl, dass er irgendetwas sagen musste. „Blöde Frage“, schniefte Marion. „Entschuldige, Hendrik. Es ist nur, ich meine nur ...“ Er spürte jetzt ein vages Befremden darüber, dass seine Frau ihn offensichtlich mit Samthandschuhen anfasste. Ein ganz ungewohntes Gefühl. Wofür entschuldigte sie sich? „Ich kann mich gar nicht bewegen“, sagte er dann, nicht weil es ihn störte, nur weil er glaubte, etwas sagen zu müssen. „Ich fühl’ mich wie auf Watte.“
    In diesem Augenblick trat Dr. Melderis an sein Bett. Er lächelte warm und professionell, niemand konnte ahnen, was hinter seiner leicht gerunzelten Stirn vor sich ging. „Wie geht es Ihnen, Herr von Lehsten?“, fragte er und Hendrik überlegte. Wie ging es ihm? „Gut“, antwortete er schließlich. „Ich hab nur überhaupt keine Lust, mich zu bewegen.“
    Bitte nicht, dachte der Arzt, während es ihm gelang, seine Besorgnis mit einem Lächeln zu kaschieren, das jedoch seine Augen nicht erreichte. Er ahnte, was passiert war. Die Blutung war nicht zum Stillstand gekommen, die Lähmung schritt voran. Kein gutes Zeichen. Aber er ließ sich nichts anmerken. „Das müssen Sie ja auch nicht“, meinte er. „Wir werden Sie jetzt gründlich untersuchen, während Ihre Frau nach Hause geht und sicherlich allerhand zu regeln hat ...“, aus den Augenwinkeln stellte er leicht befremdet fest, dass Marion sich bereits erhoben hatte, sie sah fast erleichtert aus. Keine dieser liebenden Ehefrauen, die sich ein Bett ins Krankenzimmer stellen ließen, weil sie es nicht aushielten ohne den geliebten Partner. Na ja, jeder reagierte anders in so einer Ausnahmesituation. Er wollte sich nicht zum Richter berufen fühlen. „Ich rufe Sie dann an“, sagte Dr. Melderis zu Marion von Lehsten. „So gegen Mittag haben wir alle Ergebnisse.“
    „Ich danke Ihnen, Herr Doktor“, und während sie sich abschiednehmend über ihren Mann beugte, war sie froh, dass man ihr nicht ansah, wie froh sie war, die Intensivstation verlassen zu können. Sie hasste

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