Holst, Evelyn
Dusche pfiff, immer einen halben Ton daneben. Über die Art, wie er seine Eier köpfte, mit dem Messer. Darüber, dass er 1000 Lesebrillen hatte und nie eine fand, wenn er sie brauchte. Nach dem Tod von Isabell hatten ihre Badewannenplaudereien schlagartig aufgehört und seit die morgendlichen Telefonate kamen, schloss sich Marion sogar im Bad ein. Sie braucht mich nicht mehr, dachte Uschi traurig. Ich werde langsam überflüssig.
Dass sie ausgerechnet an diesem Morgen, an dem Hendrik um sein Leben rang, mit ihrem Liebhaber in aller Öffentlichkeit herumknutschte, fand die Haushälterin nicht nur geschmacklos, sondern zutiefst beunruhigend. Wollte Marion ihren Mann etwa verlassen, ausgerechnet jetzt? Am liebsten wäre sie auf die Straße gelaufen, hätte an die Autoscheibe geklopft und wenn Marion sie heruntergelassen hätte, laut und deutlich, „dies ist nicht der richtige Moment für Liebhaber, Frau von Lehsten“, gesagt. Aber natürlich traute sie sich nicht.
„Ich muss zu ihm“, sagte Marion und wand sich aus Ludwigs Umarmung. „Er braucht mich jetzt.“ Ludwig nickte. „Ich weiß“, er sah sie an und obwohl sie noch direkt neben ihm saß, war sie bereits sternenweit von ihm entfernt. Er musste sie gehen lassen, sie durfte Hendrik jetzt nicht verlassen, es gab keine andere Möglichkeit. „Soll ich dich zum Krankenhaus fahren?“, fragte er, aber sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich fahre selbst.“ Sie drehte sich zu ihm und einen kurzen, sehr schmerzlichen Augenblick versanken ihre Augen ineinander und nahmen Abschied. Dann öffnete sie die Beifahrertür.
„Ich ruf dich an“, sie drehte sich noch einmal um, noch einmal streichelte ihn ihr Blick, dann stieg sie in ihr Cabrio und fuhr davon. Er sah ihr nach, fühlte sich schuldig, weil er seinen besten Freund betrogen hatte, fühlte sich schrecklich, weil er dessen Frau nicht mehr lieben durfte. Und dann setzte er seine Sonnenbrille auf, weil seine Augen feucht wurden und sein Schmerz nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war.
12. Kapitel
„Sitzt der Gips bequem, kein Scheuern, kein Kratzen?“, die junge Ärztin war in Eile, Leonie war ein Routinefall, gerade war ein Selbstmörder eingeliefert worden, der sich vor die U-Bahn geworfen hatte. Es war Touch and Go, Knochenbrüche, Quetschungen, vermutlich hatte er Glück gehabt. Aber war es Glück, wenn man eigentlich sterben wollte und in letzter Sekunde daran gehindert wurde? Manchmal zweifelte sie daran. Und noch öfter zweifelte sie, wenn sie ein Unfallopfer auf dem OP-Tisch hatte, das so schlimm zugerichtet war, dass man es nicht mehr Leben nennen konnte, was sie dann in einer mehrstündigen, hochkomplizierten Operation retten konnte. Den Mann, der letzte Nacht einen Herzstillstand hatte zum Beispiel, vermutlich würde er im Rollstuhl landen, wenn sie seine Einblutung ins Rückenmark nicht stoppen konnten, leider sah es im Augenblick nicht danach aus. Ein attraktiver Mann, das sah sie trotz der schrecklichen Umstände, trotz der Schläuche, mit denen er gespickt war, der Totenblässe seines Gesichts, ein Mann, der Frauen gefallen hatte. Was würde bleiben? Ein Krüppel, der von den Schultern abwärts nichts mehr spürte? Der nie wieder gehen, stehen oder lieben konnte?
Sie wusste, dass die junge, bis auf einen lächerlichen Beinbruch unversehrte Frau, deren Gips sie gerade prüfte, die Schuld an seinem Unfall trug, und sie spürte, wie, ganz unprofessionell, ein Zorn in ihr wuchs, den sie nur mühsam unterdrücken konnte. „Wie ist es eigentlich zu Ihrem Unfall gekommen?“, fragte sie, weil sie hoffte, es würde Gründe geben, die ihren Zorn beschwichtigen könnten, aber die junge Frau seufzte nur: „Es war ganz und gar meine Schuld,“ ihre Stimme war so leise, dass sich die Ärztin vorbeugen musste, um sie zu verstehen. „Mein Fahrrad hatte kein Licht und dann war die Flasche festgeklemmt ...“, sie fing an zu schluchzen und konnte nicht weiterreden. Mit tränenüberströmtem Gesicht sah sie zu der Ärztin auf, deren Zorn einem Gefühl von Mitleid wich. „Wie geht es ihm? Geht es ihm besser?“
Die Ärztin konnte ihr darauf keine Antwort geben. Die junge Frau mit dem Gips gehörte nicht zur Familie, sie war eine Fremde. Eine schuldige Fremde. „Sie können nach Hause gehen“, sagte sie stattdessen. „Wenn Sie Glück haben, kommt der Gips in spätestens drei Wochen ab. Dann sehen wir uns wieder. Viel Glück.“
Sie ging zur Tür, drehte sich noch einmal um. Die junge Frau saß
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