Holst, Evelyn
ich haben etwas zu besprechen.“
Doch als sie sich dann am Küchentisch gegenüber saßen, wusste Leonie nicht, was sie sagen sollte. „Spuck’s aus“, sagte Marius, nach einem Schweigen, das ihm viel zu lang vorkam. „Irgendetwas ist passiert und es hat nichts mit deinem Gipsbein zu tun. Du siehst anders aus.“
Was war passiert? Kurz überlegte sie, ob sie ihn freundschaftlich belügen sollte, aber dann sagte sie es einfach: „Der Mann, den ich angefahren habe, liegt auf der Intensivstation.“ „Das weiß ich doch, Leonie“, Marius hatte die Kühlschranktür geöffnet und inspizierte den Inhalt: „Hier jaulen ja die Mäuse, soll ich einfach mal zusammenkochen, was ich so finde?“
„Mach ruhig“, lächelte Leonie. „Für Nudeln mit Tomatensauce hab ich immer alles da.“ Marius, ein geübter Hobbykoch, der alle Kinderlieblingsmenüs beherrschte, von Kartoffelmöhrenbrei bis Gemüselasagne, hatte bereits die Pasta ins Wasser geschüttet, Salz dazu, und Tomatenpaste aus einer sehr verdrückten Tube gequetscht. „Intensivstation ist doch nichts Schlimmes“, meinte er, während er an einem Sahnebecher schnüffelte und dann mit der Paste zusammen in einem Topf verrührte. „Da landen doch alle erstmal. Reine Vorsichtsmaßnahme.“ Er lächelte sonnig und gab einen Spritzer Maggiwürze an die Sauce: „Wahrscheinlich haben sie ihn längst in eine normale Abteilung verlegt. So schlimm kann’s doch nicht gewesen sein, schließlich hast du ein Fahrrad gefahren und keinen Panzer.“
So sehr wie es sie sonst entspannte, dass Marius die Dinge immer so gelassen nahm, jetzt irritierte es sie. „Ich hatte kein Licht am Rad“, sagte sie. „Und ...“ „Ich weiß, ich weiß“, Marius blieb ganz ruhig. „Weiß die Polizei das schon?“ „Das wird sie bald herausfinden“, murmelte Leonie. „Sie hat nämlich mein Rad beschlagnahmt.“ „Wahrscheinlich ist das so Matsch, dass die dir überhaupt nichts nachweisen können. Bist du deshalb so ...?“, er suchte nach Worten, ihm fielen keine ein, er spürte nur, wie verstört sie war. War es nur der Unfall? „Ich habe mich verliebt“, die Worte waren Leonie entschlüpft, ehe sie es verhindern konnte. „Verliebt?“, fragte Marius ungläubig. „In einen Arzt? Das ist der Schock. Mach dir keine Gedanken. So was kommt in den besten Familien vor.“
Sie schwieg und sah aus dem Fenster. Ihr Blick war ganz weit weg. Eine kleine Unruhe begann sich in Marius auszubreiten, die er ärgerlich verdrängte. „Wie heißt er denn, der Mann in den du dich verliebt hast? Dr. Dr. Feelgood?“ Sie sah ihn an: „Ich bin nicht verliebt“, sie sagte es so ruhig, so sicher, dass die Unruhe in ihm immer größer wurde. „Ich liebe ihn von ganzem Herzen, so wie ich noch nie geliebt habe.“ Sie sah ihn an, aber er sah an ihr vorbei, konzentrierte sich auf einen Punkt hinter ihrem Rücken, den er ertragen konnte. „So so“, versuchte er eine Beiläufigkeit, von der er meilenweit entfernt war. „Und wer ist der Glückliche?“
Unwillkürlich und völlig unpassend musste Leonie lächeln. „Es ist der Mann, den ich angefahren habe.“
In diesem Moment kochte das Nudelwasser.
14. Kapitel
Marion saß an seinem Bett, stundenlang. Seine Hand konnte sie nicht halten, weil sie mit Kanülen gespickt und festgebunden war, und in ihr war nur Trauer und Schwere. Ich werde bei dir bleiben, Hendrik, dachte sie, aber es ist das schwerste Opfer meines Lebens. Ich werde dich nie wieder lieben können, denn meine Liebe gehört Ludwig. Vielleicht hätte ein Kind etwas zwischen ihnen geändert, ein neues Leben, das in ihr gewachsen wäre und die alten Wunden geheilt hätte. Sie hätte es als Zeichen des Schicksals betrachtet, wenn es passiert wäre, hatte dem Schicksal sogar nachgeholfen, sich gründlich durchchecken lassen, Hendrik auch beim Arzt angemeldet – alles eigentlich gegen ihr Gefühl, gegen ihre Liebe. Aber sie wollte sich nicht vorwerfen lassen, nicht wirklich alles versucht zu haben. Sie hatte sich gewehrt und jetzt war alles sinnlos geworden. Jetzt würde sie nie wieder ein Kind bekommen, aber an einen Mann gefesselt bleiben, den sie nicht mehr liebte.
„Sie müssen mit ihm reden“, schlug die Krankenschwester freundlich vor, während sie den Katheter wechselte. „Komapatienten bekommen mehr mit, als wir glauben. Es ist jetzt wichtig für Ihren Mann, dass er Ihre Liebe spürt.“ Sie lächelte kurz, zog das Bettlaken glatt und verschwand.
„Hallo ...“, Marion
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