Holst, Evelyn
weggeschmissen, er konnte es nicht mehr ertragen, sich in seinen Worten wieder zu finden.
Sommerregen warm:
Wenn ein schwerer Tropfen fällt
Bebt das ganze Blatt.
So bebt jedes Mal mein Herz
Wenn dein Name auf es fällt.
„Reichst du mir bitte mal den Kaffee rüber?“, fragte er seine Frau. Keine Antwort. Er blickte auf. „Was ist los? Was hast du denn?“ „Ich glaube, es geht los!“, stöhnte Marion mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Ruf uns ein Taxi, beeil dich! Und ruf bitte Ludwig an, ich will ihn auch dabei haben.“
Als das Taxi kam, lag Marion von Lehsten in einer Blutlache.
40. Kapitel
Es war ein Warten zwischen Leben und Tod.
Im Marienkrankenhaus herrschte striktes Rauchverbot. Das war ein Glück, denn nach vier Stunden Wartezeit und je sechs Tassen Kaffee waren Ludwig und Hendrik im ungemütlichen Warteraum vor der Entbindungsstation so mürbe, dass sie am liebsten ein paar Zigaretten hintereinander geraucht hätten, obwohl sie beide gemeinsam das Rauchen schon vor einigen Jahren unter großen Mühen aufgegeben hatten. „Ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie die Geburt nicht übersteht“, sagte Ludwig plötzlich und Hendrik sah ihn überrascht an. „Was hast du denn damit zu tun?“ Alles, wollte Ludwig gerade sagen, da stand der Arzt vor ihnen. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes und er kam ohne Umschweife zur Sache: „Es tut mir leid, es gibt da leider ein paar Komplikationen. Starker Blutverlust!“, sagte er.
Die Männer wurden blass. „Ich muss Ihnen eine Frage stellen, nur zur Sicherheit: Wenn es, was wir alle nicht hoffen wollen, zum Äußersten kommen sollte, wen sollen wir dann retten: Die Mutter oder das Kind? Ich brauche eine klare Entscheidung.“
„Die Mutter natürlich!“, riefen Hendrik und Ludwig wie aus einem Munde. Irritiert guckte Dr. Wolkner von einem zum anderen. „Wer von Ihnen ist denn nun der werdende Vater?“, Hendrik sagte: „Ich bin der Ehemann!“, Ludwig nickte.
Dr. Wolkner schwieg einen Moment. „Es wird schon alles gut gehen“, sagte er schließlich. „Beten Sie für die beiden!“ Damit ging er.
Es folgten schreckliche Stunden. Jede Minute schien eine Ewigkeit zu dauern.
Irgendwann fasste Hendrik sich ein Herz: „Ludwig, jetzt ist bestimmt nicht der passende Augenblick, aber … kann ich dir etwas anvertrauen?“ Ludwig nickte.
„Also, ich liebe eine andere Frau! Du kennst sie sogar, es ist die Fahrradfahrerin, die den Unfall verursacht hat! Ich weiß, es ist absolut schockierend, aber gegen eine solche Liebe ist man einfach machtlos! Ich werde Marion natürlich nicht verlassen, wie könnte ich, ob das Baby es nun schafft oder nicht. Aber ich musste es einfach mal jemandem erzählen. Und wem, wenn nicht dir, meinem besten Freund. Verachtest du mich jetzt?“
Ludwig konnte kaum glauben, was er da hörte. Das änderte ja alles! „Nein, ich verachte dich nicht“, er griff nach Hendriks Hand und drückte sie. „Ich weiß ja selbst, dass man gegen die Liebe machtlos ist. Und ich liebe ...“
Gerade wollte er ansetzen, nun seinerseits Hendrik alles zu beichten, da kam Dr. Wolkner aus dem Kreißsaal. Er strahlte über das ganze Gesicht. „Das Warten hat sich gelohnt, meine Herren, ich gratuliere ganz herzlich zu einem gesunden Jungen. Ein kleiner Kämpfer ist das und bildhübsch! Die Mama ist ziemlich erschöpft, aber sie wird sich bald erholen. Sie dürfen jetzt zu den beiden!“
Im Wochenbett lag eine zu Tode erschöpfte, blasse Marion, aber sie lächelte. Im Arm hielt sie ihr Kind. Wie winzig es war! Beide Männer betrachteten tief gerührt das friedliche Bild. „Nun kommt schon näher, ihr zwei, wir beißen nicht!“, lächelte Marion schwach. „Mir ist auch sofort ein Name für ihn eingefallen: Er soll Viktor heißen. Er ist schließlich ein kleiner Sieger! Nun kommt doch schon!“
Hendrik rollte neben das Bett. Marion reichte ihm das Baby, aber ihre Augen ruhten auf Ludwig, als sie sagte: „Er ist ein Prachtbursche, unser Sohn!“
Hendrik nahm das winzige Bündel Mensch entgegen und betrachtete es ausgiebig. „Diese kleinen Fingerchen – ein Wunder!“, sagte er. Er streichelte den dunklen Flaum auf dem Babykopf, die kleinen Ohren … plötzlich stutzte er. Hinter dem linken Ohr hatte der kleine Bursche ein Muttermal, einen kleeblattförmigen Leberfleck. Genau so einen hatte er schon einmal gesehen …
Er schloss die Augen. Bilder stiegen in ihm auf. Er als kleiner Junge mit seinem besten Freund Ludwig. Wie sie
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