Holst, Evelyn
setzen Sie sich zu mir!“, Marion klopfte auffordernd auf den Badewannenrand. Uschi setzte sich zögernd. Früher hatte sie oft so gesessen und mit ihrer Chefin über das Leben geplaudert, auch damals, während der ersten Schwangerschaft hatten sie beide ihre Badewannengespräche sehr genossen. Sie beschloss, diese erneute Aufforderung als ein gutes Zeichen zu sehen und lächelte. Marion lächelte zurück. „Uschi, finden Sie, dass ich eine gute Mutter war? Damals, als …“ „Ja, Frau von Lehsten, das finde ich. Sie waren eine gute Mutter und Sie werden wieder eine gute Mutter sein! Daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel.“ Auf die Frage, ob du eine gute Ehefrau bist, hätte ich nicht ehrlich antworten mögen, dachte sie.
„Eine gute Mutter muss doch ihr Kind beschützen und sie darf nicht egoistisch sein, oder? Uschi, was meinen Sie?“
Oh Schreck, dachte Uschi, worauf will sie hinaus? Das ist dünnes Eis, auf das ich mich da begebe, jetzt nur nichts Falsches sagen … „Meiner Meinung nach braucht ein Kind vor allem eins: Liebe, ganz viel Liebe. Und dann eine harmonische Umgebung und glückliche Eltern …“
Da klingelte das Telefon. Uschi ging ins Schlafzimmer, um abzuheben. Ihre Stimme klang auf einmal kühl, als sie sagte: „Ja, sie ist da. Einen Moment, ich verbinde Sie, Herr Kaltenberg.“ Sie kam ins Bad zurück und reichte Marion mit ausdrucksloser Miene den Hörer des schnurlosen Telefons. Mit schuldbewusstem Blick und auf einmal rasendem Herzen griff Marion danach. „Ludwig, du? Was gibt’s denn?“
Uschi ging hinaus, selbst von hinten strahlte sie Missbilligung aus. „Ich wollte dich nur warnen!“, kam Ludwigs Stimme an Marions Ohr. „Hendrik hat mich angerufen. Ich soll ihn zur Gerichtsverhandlung begleiten und ich habe zugesagt.“ Trotz dieser alarmierenden Nachrichten fühlte Marion eine tiefe Freude beim Klang von Ludwigs Stimme. „Ich weiß, ich dürfte nicht so fühlen!“, sagte sie. „Aber ich habe dich sooo vermisst!“ „Ich dich auch“, sagte er und dachte, wieso habe ich nicht gewusst, wie schwer sich mein Herz anfühlen kann? „Aber ich hätte nicht zugesagt, wenn Hendrik nicht so verzweifelt geklungen hätte. Das kann doch nicht richtig sein, wenn wir alle so unglücklich sind!“ Marion seufzte. „Ich weiß. Ich mache ihn nicht glücklich. Aber vielleicht, wenn das Baby erst da ist … Ludwig, ich KANN ihn nicht verlassen! Du weißt ja nicht … ich hab’ ja auch mit schuld, ich hab’ ihm ins Lenkrad gegriffen!“, Marion schluchzte auf. Alle ungeweinten Tränen brachen sich Bahn, sie konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen, es schüttelte sie richtig. Ludwig fühlte sich entsetzlich hilflos. „Soll ich kommen?“ „Nein!“, schluchzte sie. „Auf keinen Fall. Wenn ich dich wieder sehe, werde ich schwach. Und ich muss stark bleiben. Ich liebe dich.“
Sie warf das Telefon neben das Waschbecken, riss mit energischem Griff den Stöpsel aus der Badewanne und griff zur Dusche. Sie stellte sie auf kalt, ließ sich das eisige Wasser über Gesicht und Körper laufen. Der Schock wirkte. Ihre Tränen versiegten abrupt. Ich muss mein Leben ändern und irgendwo muss ich damit anfangen, dachte sie. Und plötzlich wusste sie, was sie tun musste. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte sie wieder Klarheit und Sicherheit. Ein wunderbares Gefühl.
36. Kapitel
Der Tag des Prozesses war da und Ludwig hatte Wort gehalten. Er war zu Hendrik ins Büro gekommen, das erste Mal nach dem Unfall. Ein Moment, vor dem ihm gegraut hatte. Wie würde er reagieren, wenn er seinen Freund im Rollstuhl sah, so hilflos, so zerbrechlich, so ganz anders als früher?
Doch es war weniger schlimm, als er gefürchtet hatte. Hendrik war ihm lächelnd im Rollstuhl entgegen gekommen. „Endlich bin ich einen Kopf kleiner als du, das hast du dir doch schon immer gewünscht!“, versuchte er zu scherzen, um die Situation ein bisschen zu entspannen. Ludwig holte tief Luft, um sich zu entspannen. „Wie geht es dir?“, fragte er und zwang sich, Hendrik dabei in die Augen zu sehen. „Willst du eine ehrliche Antwort? Beschissen. Willst du die Details hören?“ Ludwig nahm sich einen Stuhl und ließ sich neben Hendrik nieder. „Okay. Aber eine Sache vorweg, vielleicht hilft dir das wenigstens ein bisschen: Ihr könnt den Film über mich machen! Löst das zumindest ein paar deiner beruflichen Probleme?“
„Das ist ja fantastisch, vielen Dank! Ludwig, ich weiß ja, wie kamerascheu du
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