Holst, Evelyn
liefern wir auch Qualität“, sagte er und lächelte Regina Schneider zu, die ihm einen Becher dampfenden Tee auf den Schreibtisch stellte und sich mit ihrem üblichen, sanft traurigen Lächeln wieder entfernte. „Ich weiß, Dr. Mannweiler, aber die Quote von ‚Made in Germany – Portraits deutscher Erfolgsmenschen’ lag bei 20,4 Prozent, Sie wissen selbst, wie sensationell das bei einer Wirtschaftsreihe ist. Genau. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit.“ Er legte auf und lächelte. Beruflich lief alles wieder bestens, sein monatelanger Krankenhausaufenthalt hatte seiner Firma nicht geschadet, im Gegenteil.
Gerade hatte Cora Böhm das Haus verlassen, eine Stunde intensiver krankengymnastischer Übungen lag hinter ihm. Cora war noch fröhlicher gewesen als sonst. Sie hatte gesagt: „Herr von Lehsten, geben Sie sich nicht auf, es gibt immer Hoffnung, immer! Ich weiß das!“ Er hatte sie fragend angesehen, aber sie hatte nur noch gesagt: „Glaube, Hoffnung, Liebe, diese Drei – aber die Liebe ist die Größte unter ihnen! Steht schon in der Bibel. Und das gilt auch für Sie.“ Mit einem Lachen war sie gegangen.
Die Liebe ist die Größe unter ihnen, dachte Hendrik, aber wenn sie nun unmöglich ist?
„Regina“, rief er ins Nebenzimmer. „Hat sich Eike Huber schon gemeldet?“ Huber war ein dynamischer Millionär aus Thüringen, Teil einer Serie über den „Aufschwung Ost“, die Hendrik gerade vorbereitete.
Sie kam herein und sah sehr sorgenvoll aus. „Schlechte Nachrichten“, verkündete sie.
„Huber ist verhaftet worden. Mit Drogen. Im Bordell.“
„Dann brauchen wir Ersatz, liebe Regina“, lachte Hendrik und wunderte sich, dass er die Dinge so leicht nehmen konnte. Früher wäre er ausgerastet oder in Panik geraten, heute, nach dem Unfall, sah er alles lockerer. Das Schlimmste war ihm schon passiert, diese Sicherheit entspannte ihn. „Gib mir mal Ludwig. Ich weiß, er ist schwer zu erreichen, versuch es trotzdem. Ich trinke solange kalten Tee.“
Fünf Minuten später war Ludwig Kaltenberg am Apparat.
„Ludwig? Ja, gut dass ich dich erreiche. Hendrik hier. Du lebst also noch, wie schön. Ja, ich auch, danke der Nachfrage. Ich fall’ mal einfach mit der Tür ins Haus: Können wir einen Film über dich machen? Deine Eltern kommen aus Sachsen, ein Millionär bist du auch, dein Privatleben ist zwar nicht so spannend, sorry, no offense, keine Frau, keine Kinder … Vielleicht können wir dir eine attraktive Freundin andichten, das würde sich gut auf dem Fernsehschirm machen. Ludwig? ...“
Am anderen Ende der Leitung herrschte tiefes Schweigen. „Ich kann dir leider nicht helfen, Hendrik. Es geht mir nicht gut im Moment. Es tut mir sehr leid.“ Klack, aufgelegt.
Hendrik hielt den Telefonhörer in der Hand und fühlte sein Herz klopfen. Laut und aufdringlich. Die Verzweiflung in der Stimme seines Freundes ließ plötzlich die Mauer wegbrechen, mit der er sein eigenes Herz in den letzten Monaten so verzweifelt zu schützen versucht hatte. Er wählte Ludwigs Nummer und ließ solange klingeln, bis er die Stimme seines Freundes hörte. Und dann fiel auch seine Maske.
„Weißt du Ludwig, mir geht es auch nicht gut. Privat nicht, körperlich nicht und seelisch schon gar nicht. Ich brauche dringend einen Freund, ich brauche DICH. Am Dienstag ist die Verhandlung wegen des Unfalls. Kannst du mich bitte begleiten? Ich bitte dich von ganzem Herzen.“ Stille. „Ludwig, bist du noch dran?“ Ein tiefer Seufzer. „Ja, ich bin noch dran. Ich werde kommen.“ Dann ließ Ludwig den Hörer fallen, als habe der ihn gebissen. Was hatte er da getan?! Aber was hätte er anderes tun KÖNNEN? Würde er es aushalten, Marion wieder zu sehen, mit seinem Kind im Bauch und so zu tun, als habe er nichts damit zu tun? Freundschaft vortäuschen, wo Liebe war, tiefe, verzweifelte Liebe?
Er hatte keine Wahl. Er war es Hendrik schuldig.
35. Kapitel
Marion lag zu Hause in ihrer Badewanne. Ihr Bauch war inzwischen so groß geworden, dass das Wasser ihn nicht mehr bedecken konnte. Ja, mein Baby, dachte sie, du machst es genau richtig, du schwimmst oben! Und genau so soll es dein ganzes Leben lang sein, dafür wird deine Mama schon sorgen, das verspreche ich dir!
Dreimal hatte sie schon heißes Wasser nachlaufen lassen. Da klopfte es an der Tür. Auf ihr zögerndes „Herein ...“ streckte Uschi vorsichtig den Kopf ins Badezimmer. „Ist alles in Ordnung, Frau von Lehsten?“ – „Ja, ja, kommen Sie rein,
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