Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
nehme an, daß du
heute nachmittag zu Cecilie willst, aber könnten wir vielleicht danach ...«
»Zu mir nach Hause gehen, uns etwas zu essen machen und danach
schlafen?« Er verdrehte die Augen.
»Und dann gibt es noch Leute, die behaupten, du wärst nicht mehr die alte.
Die kennen dich einfach nicht. Du hast mir das Wort aus dem Mund
genommen. Also, machen wir das so?«
Hanne gähnte wieder, ausgiebig, bis ihre Augen tränten.
»Ich glaube, es wird auf wenig Reden, wenig Essen und viel Schlaf
hinauslaufen«, sagte sie und rieb sich das Gesicht. »Aber wenn das für dich in
Ordnung ist...«
»In Ordnung? Super ist das. Ich schlafe auf dem Sofa, und du breitest dich im
Doppelbett aus.«
»Ich finde, du solltest auch daran denken, warum ich allein in diesem Bett
liege«, sagte sie leise und rieb sich mit der linken Hand die rechte Schulter.
Er legte den Kopf schräg und beugte sich zu ihr vor.
»Du weißt sehr gut, wie sehr mir die Sache mit Cecilie zu schaffen macht«,
sagte er leise. »Das weißt du verdammt gut. Aber wir brauchen beide Schlaf.
Die Kleine hat drei Nächte lang wie besessen gebrüllt. Tone-Marit sagt, ich
könnte bei dir übernachten, so, wie dieser Fall uns auffrißt.«
»Schön«, sagte Hanne. »Aber die anderen haben recht. Ich bin nicht mehr die
alte. Wir sehen uns gegen fünf. Spätestens halb sechs.«
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»Geschenk? Für mich?«
Hanne Wilhelmsen blickte fragend zu Billy T. hoch, der schon vor ihr in der
Wohnung gewesen war. Sie konnte sich nicht vorstellen, woher er die
Schlüssel hatte.
»Ja. Mach schon auf.«
Hanne riß das Papier weg.
»Ein Aschenbecher«, sagte sie tonlos. »Wie schön.«
»Den in deinem Büro habe ich doch zerbrochen. An dem Tag, als du so sauer
auf mich warst. Weißt du das nicht mehr? Da hast du mir befohlen, einen
neuen zu kaufen.«
»Ach«, sagte Hanne. »Stimmt. Danke. Und der ist wirklich schön. Schöner als
der alte.«
»Wie geht es Cecilie?«
»Besser.«
Hanne ließ sich auf das Sofa sinken und legte die Beine auf den Tisch.
»Sie war wach. Der Arzt sagt, wenn alles gut geht, dann kann sie morgen nach
Hause. Woher hast du eigentlich die Schlüssel?«
Er war offenbar schon länger in der Wohnung. Es roch nach altmodischem
Essen. Der Dampf eines Gerichtes, das schon lange kochte, hing in der Luft,
und das Küchenfenster war beschlagen.
»Billy Ts Fleischsuppe ä la Puccini«, sagte Billy T. zufrieden und stellte einen riesigen Topf auf den Küchentisch. »Bitte sehr. Kräftige Kost für kräftige
Jungs und Mädels.«
»So komm ich mir nicht gerade vor«, sagte Hanne skeptisch und hob den
Deckel. Sie hatte sich vom Sofa aufgerappelt und wußte nicht so recht, ob sie
noch immer Hunger hatte. »Was ist das hier?«
»Suppe. Jetzt setz dich schon.«
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Er klatschte eine riesige Portion in den Teller, der vor ihr stand. Die
hellbraune Flüssigkeit schwappte über den Rand, und ein gekochtes Kohlblatt
landete auf Hannes Schoß. Sie fischte es auf und hielt das schlaffe, fast
durchsichtige Stück Gemüse zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Was in aller Welt ist das hier?«
»Kohl. Iß.«
Vorsichtig tunkte sie den Löffel in die Suppe. Die war glühendheiß und tropfte
von ihren Lippen, als sie den Löffel abschlürfte.
»Gut?«
Billy T. hatte seinen Teller schon zur Hälfte geleert. »In Ordnung.«
Sie aß eine halbe Portion. Sie hatte zwar schon besser gegessen, aber die Suppe
wärmte sie immerhin. Sie spülte den Geschmack mit einem Glas Wasser
hinunter und erklärte sich für satt.
»Du bist viel zu dünn«, sagte Billy T. mit vollem Mund. »Iß mehr!«
»Die Schlüssel. Woher hast du die?«
»Von Häkon. Wir haben uns überlegt, daß es besser ist, wenn wir sie eine
Weile behalten. Solange Cecilie im Krankenhaus ein und aus geht.«
»Ihr hättet fragen können.«
»Wir haben gefragt. Cecilie fand die Idee gut.«
Hanne war zu müde, um zu widersprechen.
»Der Tote war wirklich Salvesen«, sagte Billy T. »Wie wir vermutet hatten.«
Er schmatzte so schrecklich, daß Hanne sich die Ohren zuhielt.
»Tschuldigung«, nuschelte er. »Elegant kann man diesen Kram nicht essen.«
»Du könntest es immerhin versuchen. Hat der Zahnarzt das festgestellt?«
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»Ja. Es ist Stäle Salvesen, ohne Zweifel. Vorläufig können sie noch nicht viel
über den Todeszeitpunkt sagen, aber die Konsistenz der Leiche spricht für
einen Selbstmord am Montag, dem i. März.«
»Die Konsistenz der Leiche«, wiederholte
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