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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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»Ich bin übermüdet.«
    Billy T. ließ sich neben sie aufs Sofa fallen. Schuberts Unvollendete hatte einen dramatischen Wendepunkt erreicht, und er drehte es mit der Fernbedienung
    wieder lauter und legte Hanne den Arm um die Schultern.
    »Hör jetzt zu«, flüsterte er. »Hör gerade jetzt zu.«
    Sie entspannte sich. Billy T. roch leicht nach Mann und gekochtem Kohl. Die
    Wollfasern seines Pullovers kratzten ihre Wange. Er saß ganz still da, hatte
    den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Sein Arm lag an-
    genehm schwer auf ihr. Behutsam streichelte sie seine Hand. Die war groß und
    warm und ruhte ganz bewegungslos nur wenige Zentimeter von ihrer rechten
    Brust entfernt. Sie ließ zwei Finger über die Adern wandern, die sich auf
    seinem Handrücken abzeichneten. Als sie aufschaute, lächelte er. Sie musterte
    die vertrauten Züge, die
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    große, gerade Nase, die blaßblauen Augen, die in diesem Moment grau und
    tiefer wirkten, als sie sie je gesehen hatte, die Lippen, die er mit der Zunge
    anfeuchtete, ehe er sehr ernst wurde, die freie Hand an ihre Wange legte und
    sie lange, lange küßte.
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    Ein Mann schlug mit der Faust gegen die mit Fliesen bedeckte Wand.
    »Scheiße. Scheiße. Scheiße.«
    Das Wasser spülte glühendheiß über seinen Leib.
    Er hätte nie damit gerechnet, daß jemand etwas über Evald Bromos Umgang
    mit kleinen Mädchen erfahren würde. Bromo war der vorsichtigste
    Vergewaltiger, mit dem der nackte Mann unter der Dusche je zu tun gehabt
    hatte. Nur einmal hatte er sich fahrlässig verhalten. Das war viele Jahre her,
    und sein Fehler hatte sich ausbügeln lassen.
    »Shit. O verdammt!«
    Er hätte heulen können. Statt dessen hämmerte er noch einmal gegen die
    Wand.
    Es gab nur eine Verbindung zwischen ihm selbst und Evald Bromo. Er war
    sich hundertprozentig sicher gewesen, daß diese niemals entdeckt werden
    könnte. Einhundertprozentig.
    Jetzt wußte er nicht, was er tun sollte.
    »Papa!« schrie eine Stimme vor der abgeschlossenen Tür. »Du verbrauchst ja
    das ganze heiße Wasser. Jetzt bin ich an der Reihe. Papa!«
    Wenn er gewußt hätte, daß jemand es wußte, hätte er alles anders gemacht.
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    27
    Als Hanne am Donnerstagmorgen erwachte, begriff sie zuerst nicht, wo sie
    war. Es war halbdunkel im Zimmer, und die stickige Luft roch unbehaglich.
    Sie war zu Hause. Sie lag in ihrem eigenen Bett. Daß die Vorhänge sich nicht
    bewegten, lag am geschlossenen Fenster. Sonst schliefen sie immer bei
    offenem Fenster. Cecilie und Hanne.
    Billy T. lag neben ihr auf dem Bauch. Er schlief noch immer tief, mit offenem
    Mund und leichtem Schnarchen. Seine Decke war heruntergeglitten. Obwohl
    der Sommer noch weit war, sah sie eine klare Grenze zwischen seinem weißen
    Hintern und dem dunkleren Rücken.
    Hanne hatte plötzlich Angst; ein physischer Schmerz überall im Körper. Billy
    T. murmelte im Schlaf vor sich hin und drehte sich um.
    Hanne versuchte, sich zu bewegen. Er drückte sie nicht länger nach unten.
    Sein Gesicht war abgewandt. Sein Rücken berührte sie nur ganz leicht. Sie
    hatte die Arme starr an ihrem nackten Leib ausgestreckt und konnte nicht
    atmen.
    An diesem Tag würde Cecilie nach Hause kommen.
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    Olga Bromo lag im Sterben.
    Der Pfleger, der sie wusch, ertappte sich bei dem Gedanken, daß es vielleicht
    das allerletzte Mal war. Der Zustand der alten Frau hatte sich in der Nacht
    zum Sonntag plötzlich verschlechtert. Ihr Puls — der sie zuverlässig durch zwei
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    sinnlose Jahre nahe dem Koma getrieben hatte — war plötzlich unregelmäßig
    und schwach geworden. Der Pfleger hatte gelesen, daß Olga Bromos Sohn fast
    zur selben Zeit ermordet worden war. Seither hatte ihr Herz schon zweimal
    ausgesetzt. Doch das Leben war dann zurückgekehrt, wie aus wütendem Trotz
    angesichts der Erleichterung des Personals darüber, daß die senile,
    zweiundachtzig Jahre alte Dame endlich erlöst werden sollte.
    »Ihr habt einander so nahe gestanden«, sagte der Pfleger freundlich und mit
    leiser Stimme, als er den Waschlappen auswrang. »Er hat dich ja fast jeden
    Tag besucht. Nicht alle haben solches Glück.«
    Olga Bromo trug ein weißes Flanellnachthemd mit hellroten Bändern am Hals.
    Der Pfleger hatte sich die Mühe gemacht, ihr ein eigenes Kleidungsstück
    anzuziehen, an Stelle des praktischen, geschlechtslosen Kittels, in den die
    Kranken sonst gesteckt wurden.
    Er hatte gerade die Schleife am Hals gebunden, als Olga Bromo starb. Nur ein
    schwaches

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