Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Bett und hielt ihre Hand. Sie hatte die ganze
Nacht hindurch gesprochen, leise und manchmal auch stumm. Cecilie hatte
geschlafen, unbeweglich und in derselben Haltung. Trotz
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dem hätte Hanne schwören können, daß ab und zu ein Krampf über das
magere Gesicht gelaufen war; immer neue Zeichen für Hanne, weiterzureden.
Am Mittwoch, dem 7. April, um acht Uhr morgens, schrieb Hanne eine kurze
Nachricht und legte sie unter ein Glas mit schalem Wasser, das auf dem
Nachttisch stand. Dann fuhr sie zum Polizeigebäude am Gronlandsleiret 44.
In vier Tagen hatte sie kaum vier Stunden geschlafen.
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»You look like something the cat dragged in!«
Iver Feirand musterte Hanne und rümpfte die Nase. »Komm rein«, sagte sie.
»Danke. Nett von dir.« »War nicht so gemeint.«
Er setzte sich und betrachtete Hanne weiterhin. Am Ende stand er auf und
versuchte, unter dem Schreibtisch ihre Beine zu sehen.
»Also, Hanne. Du warst doch immer die schönste Bullenfrau der Welt. Was ist
passiert? Deine Haare, zum Beispiel ...«
Er hob die Hände über seinen eigenen Kopf und schnalzte resigniert mit der
Zunge.
»Und abgenommen hast du auch«, fügte er hinzu. »Nicht gut. Kommt das
vom Streß, oder wolltest du das so?«
»Schön, daß du gekommen bist«, sagte Hanne müde und befestigte die Spange
in ihrem Pony.
»Grausig«, sagte Iver Feirand und schüttelte den Kopf. »Viel zu bieder. Nimm
sie weg.«
Sie ließ die Spange, wo sie war.
»Schon weiter über das Motorrad nachgedacht?« fragte er eifrig.
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Hanne schüttelte den Kopf.
»Sag mir Bescheid. Ich hab noch immer Interesse. Ich dachte, du wärst mit
dieser Halvorsrud-Geschichte befaßt.«
Er verschränkte die Hände hinter seinem Nacken und wippte mit dem Stuhl.
»Was kann ich also für dich tun?«
Hanne ärgerte sich über sein Gewippe, beschloß aber, nichts zu sagen.
»Wir haben wohl beide gleichermaßen wenig Zeit«, sagte sie und zündete sich
die vierte Zigarette dieses Tages an. »Also komme ich gleich zur Sache. Wir
haben Grund zu der Annahme, daß Evald Bromo über einen langen Zeitraum
hinweg kleine Mädchen mißbraucht hat. Weißt du etwas davon?«
»Evald Bromo?«
Iver Feirand runzelte die Stirn und knallte mit den vorderen Stuhlbeinen auf
den Boden.
»Dieser Aftenposten-Heini, der am Sonntag enthauptet worden ist?«
»Mmm.«
»Was verstehst du unter >Grund zu der Annahme«?«
Hanne befestigte die Spange, die ihr in die Stirn gerutscht war, ein weiteres
Mal.
»Was verstehen wir gemeinhin darunter«, fragte sie gereizt. »Ich habe
natürlich eine Quelle. Eine verdammt gute Quelle. Mehr kann ich nicht
sagen.«
»Nicht einmal mir?«
Er senkte in einer demonstrativen Grimasse der Enttäuschung die
Mundwinkel.
Sie hatte sich an diesem Morgen wild mit Billy T. gefetzt. Als sie ihm von
Eivind Torsvik und dessen Organisation erzählt hatte, hatte Billy T. mit
heulenden Sirenen und zwanzig Mann Rückendeckung nach Vestfold jagen
wollen.
»Verdammt, Hanne, kapierst du nicht, daß dieser ohren
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lose Irre auf einem Goldschatz sitzen kann?« hatte er auf ihre Weigerung hin
gefaucht. »Stell dir doch mal vor, Halvorsrud vögelt seine Tochter. Das stinkt
doch schon aus der Ferne nach Motiv. Und ein Motiv hat uns bisher doch ge-
fehlt, zum Teufel!«
Hanne hatte eingewandt, daß sie nur schwer einsehen könne, warum
Halvorsrud seine Frau köpfen sollte, weil er seine Tochter vergewaltige, und
Billy T. hatte sich ein wenig beruhigt. Verärgert und übellaunig hatte er
versprochen, nichts zu sagen. Das geschah jedoch erst, nachdem Hanne ihn
zynisch darauf hingewiesen hatte, daß hinter ihr eine lange, durchwachte
Krankenhausnacht lag.
»Wie geht es denn Cecilie«, hatte Billy T. kleinlaut gefragt, und damit war die
Sache entschieden gewesen; diesmal wollten sie auf Hannes Art vorgehen.
»Hör auf damit«, sagte sie zu Iver Feirand. »Und beantworte meine Frage.
Weißt du etwas über diesen Evald Bromo?«
»Vor langer Zeit warst du mal eine sehr sympathische Frau«, sagte Feirand
sauer. »Schön, beliebt, bewundert. Was ist aus dir geworden?«
Hanne schloß die Augen und versuchte, bis zehn zu zählen. Als sie bei vier
angekommen war, riß sie sie wieder auf, knallte mit der Faust auf den Tisch
und schrie: »Laß den Scheiß, Iver! Gerade du müßtest doch wissen, wie es bei
diesem Job zugeht!«
Sie ließ sich in den Sessel zurücksinken. Dann riß sie sich die Spange aus den
Haaren und schleuderte sie
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