Holunderblut
gezogen, und wieder der orangerote Schein im fast dunklen Zimmer. »Natürlich hab ich mir Sorgen gemacht. Aber nicht
sofort
. Thomas … Es ist so, er spürt hin und wieder einen gewissen Freiheitsdrang, dann setzt er sich in eins seiner Autos und verschwindet für ein, zwei Wochen, ohne irgendjemandem Bescheid zu geben. Auch wenn’s mir schwerfällt, das ist etwas, das ich akzeptieren muss.«
So weit haben sich die Aussagen vom Autotandler und der Tierärztin nicht widersprochen, auch wenn der Hafner das mit dem Freiheitsdrang nicht erwähnt hat. Aber Mann + Auto ergibt ja meistens als Nebenprodukt Freiheitsdrang.
»Aber
jetzt
machen Sie sich Sorgen?«, hat die Katharina noch einmal nachgefragt.
»Sicher. Jetzt schon. Jetzt, wo die Polizei in meiner Praxis aufgetaucht ist.« Ganz herausfordernd hat die Tierärztin die Katharina angeschaut, man hat es vor Dunkelheit kaum sehen können, aber gespürt hat die Katharina das sehr wohl. »Wie kamen Sie auf mich?«, hat die Hohenstein gefragt, und an dem Ton hat die Katharina schon gehört, dass die das ganz genau gewusst hat, die Gute.
»Der Autotan… Der Herr Hafner von der Autowerkstatt in Halling hat Vermisstenanzeige erstattet«, hat es die Katharina ganz neutral ausgedrückt.
»Ah ja, der Andi. Hab ich mir schon gedacht.« Die Tierärztin hat sich noch unterm Reden erhoben, was bedeutet hat, dass sie für heute nichts mehr erzählt, und schon gar nicht, warum sie den Autotandler mit einem im Hochdeutschen unüblichen Artikel davor
Andi
genannt hat. Auchwas genau die Hohenstein sich gedacht hat, hat sie nicht mehr erzählt. Aber die Katharina hat schon vermutet, dass sie das bald genug erfahren wird, und damit ist sie dann auch gar nicht falsch gelegen. Für heute Abend war es sowieso schon genug Information, und sie wollte sich das bisschen Vertrauen, das sie bei der Tierärztin gewonnen hat, nicht gleich wieder durch lästiges Nachbohren verspielen.
Die Hohenstein hat ihre Karte dagelassen, mit Handynummer und allem, und die Katharina hat sie noch auf den Hof hinausbegleitet, wo die Tierärztin sich verabschiedet hat, in ihren dunkelgrünen V70 eingestiegen ist, gewendet hat und dann in die Nacht davongefahren ist.
Die Katharina hat noch lange in die Richtung geschaut, in der die Rücklichter von dem Volvo verschwunden sind, und sich ihre Gedanken über die Monologe vom Tandler und der Tierärztin gemacht, weil in vielen Punkten hat es Übereinstimmungen gegeben. Nur: Der Hafner hat sie als geldgierige Stalkerin beschrieben. Die Hohenstein sich selbst als besorgte Liebende.
Vom Ansatz her waren die beiden Geschichten also grundverschieden.
VIERE
»Guten Morgen, ich suche eine gewisse Katharina Berger.«
Die Katharina hat hinter ihrem Laptop aufgeblickt, wo sie gerade die Online-Ausgabe der ›Süddeutschen Zeitung‹ durchgesehen hat, den Bayernteil. Ein Unfall mit zwei jungen Leuten in der Nähe von Wolfratshausen, aber Gott sei Dank nur Blechschaden. Wenn du in Weil sitzt, ist Wolfratshausen schon ein gutes Stück weg, also fast schon das andere Ende von Bayern. Ihre Mails hat sie parallel auch noch gecheckt, aber
niente di niente
aus der Toskana, da hat sie gleich wieder ein schlechtes Gefühl gekriegt. Es war ein recht ein langweiliger Vormittag in der Polizeidienststelle bisher, und wenn du an der Pforte sitzt und es ist nichts los, dann verdenkt es dir keiner, wenn du schnell mal in dein Postfach und in die Nachrichten schaust, um am Puls der Zeit zu bleiben.
Jetzt hat die Katharina trotzdem ganz schuldbewusst den Laptop zugeklappt, und eine Frau ist vor ihr gestanden, so eine mit zwei wasserstoffblonden Flechtzöpfen, wo du gleich siehst, das ist eine, die auf ewiges Mädchen macht, weil sie mit dem Älterwerden so ihre Probleme hat. Auf Mitte dreißig hat die Katharina sie locker geschätzt.
»Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Äh…« Die Katharina hat es eigentlich gehasst, wenn Leute einen Satz mit
äh
beginnen, und dass ihr selbst das immer wieder passiert ist, das hat sie gleich noch mehr gehasst. Aber irgendwie schon unschön, an der Polizeipfortebeim E-Mail -Checken erwischt zu werden von einer Kundschaft sozusagen. Da fällt einem als Erstes nichts anderes als
äh
ein. »Da sind Sie bei mir richtig«, hat sie sich dann doch noch von ihrem Schreck erholt, »Katharina Berger, das bin ich. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich würde Sie gerne sprechen.« Aha. Davon ist die Katharina schon ausgegangen.
»Und Sie sind?«
»Clara
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