Holunderküsschen (German Edition)
unser Gespräch in vollem Gange und Sergej erweist sich als überaus charmanter Begleiter mit einer guten Portion Humor. Seine Komplimente wirken weder holprig noch falsch, er lobt nur Lobenswertes. Ich kann verstehen, warum sich Katja in ihn verliebt hat. Wir gehen schnell zum »Du« über während der Kellner uns die bestellten Steaks serviert.
„Und, wie war dein erster Tag?“, fragt Katja fröhlich zwischen zwei Bissen.
„Ich dachte schon, du würdest mich nie fragen“, platze ich heraus. „Um ehrlich zu sein – schrecklich und schön.“ Die Beiden sehen mich fragend an.
„Also, mein Büro ist absolute Spitze! Und stellt euch vor: Ich habe sogar meine eigene Se k retärin! Na ja, vielleicht nicht ganz meine eigene, aber zumindest ist sie auch für mich da. Miriam hat mich überall herumgeführt und mein Kollege aus der Grafikabteilung ist total nett ...“ Ich mache eine Pause, denn jetzt kommt der Teil des Tages, den ich lieber verschweigen würde.
„Und?“, fragte Katja. Sie hat schon wieder diesen Supernanny-Blick aufgesetzt, der selbst schwererziehbare Teenager dazu bringt, die Wahrheit zu sagen.
„Na ja“, druckse ich. „Benni war auch da.“
„Waaaas?“ Katjas schriller Schrei hat selbst das ältliche Ehepaar schräg hinter ihr aufg e schreckt, die sich seit gefühlt einer halben Stunde nicht bewegt haben. Sergej sieht verwundert von seinem Essen auf. „Dieser Mistkerl stalkt dich!“, stellt Katja nach Fassung ringend fest.
„Ähm, nicht ganz. Er arbeitet bei der Holiday Dream als Fotograf“, gebe ich kleinlaut von mir. „Genau genommen in meiner Abteilung.“
„Das soll doch wohl ein Witz sein?“ Ich schüttele den Kopf.
„Und hast du ihn angezeigt? Oder wenigstens deiner Chefin erzählt, was für ein mieses Schwein der Typ ist?“ Wieder Kopfschütteln.
„Wieso Schwein?“ Sergej sieht uns verwundert an. Bei ihm klingen die Worte irgendwie lustig.
„Los Julia“, fordert mich Katja auf. „Du musst Sergej unbedingt erzählen, was im Zug pa s siert ist.“
Ich spüre, wie mir die Schamesröte ins Gesicht schießt. Ich schüttele erneut den Kopf. „Li e ber nicht.“
„Nun mach schon“, drängelt Katja weiter.
Sergej sieht mich schweigend an, dann legt er seine riesige Hand auf meine.
„Wenn es dir unangenehm ist, brauchst du es mir nicht zu erzählen.“
Meine Güte, der Mann ist wirklich ein Glücksfall. Ich nicke dankbar. Aber Katja scheint das nicht zu interessieren, denn sie macht fröhlich weiter.
„Auf dem Weg nach Hamburg war Julia ... na ja, wie soll ich es sagen ... ziemlich neben der Kappe.“ Katja hebt ein imaginäres Glas an ihre Lippen und kichert. Sergej sieht erst zu ihr, dann zu mir und schmunzelt.
„Ich hatte Liebeskummer“, verteidige ich mich, „schrecklichen Liebeskummer! Und den kann man nur mit Alkohol ertränken . V iel Alkohol.“
„In meinem Läben hat es für Liebeskummer nie gereicht. Bis ich Katja kennengelernt habe gab es nur kurze Momente des Glücks mit einer Frau.“ Er prostet ihr zu und seine braunen Augen halten sie fest. In diesem Moment gibt es im gesamten Restaurant kein schöneres Paar als die beiden. Fast bin ich ein bisschen neidisch. Schließlich dachte ich bis zu jenem unglückseligen Zwischenfall auch glücklich zu sein.
„Du bist noch nie enttäuscht worden?“, frage ich, als die beiden ihre Blicke wieder vone i nander lösen.
„Nein, ich lasse mich nicht enttäuschen. Enttäuschung ist etwas für Menschen, die ihren Träumen nachhängen. Als Realist und Geschäftsmann versuche ich hinter die Fassade eines Menschen zu s e hen. Was er wirklich ist und nicht das, was er nach außen vorgibt zu sein. Das ist in meiner beruflichen Position sozusagen die Grundvoraussetzung , um erfolgreich zu sein.“
Wow, der Mann ist ein halber Philosoph. Den Satz muss ich mir unbedingt merken.
„Auf jeden Fall hat sie im Zug diesen süßen Typen getroffen und ihm sein Herz ausgeschü t tet. Kannst du dir das vorstellen ... sie hat ihm alles erzählt!“ Katja tut gerade so, als hätte ich die gesamten Bankgeheimnisse der Bundesregierung weitergeplappert. „Und dann hat er sie unter Drogen gestellt und sie fotografiert.“
„Gibt es Beweisfotos?“, fragt Sergej sachlich.
„Äh ...“ Typisch Mann! Immer wollen sie gleich Beweise.
„Sergej, Frauen haben ein natürliches Gespür für so etwas. Wir wissen, wann man uns b e trogen hat! Außerdem war Julia fast nackt als sie morgens aufgewacht ist und der Typ war
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