Holunderküsschen (German Edition)
Aufeinandertreffen zu beenden.
„Und ob. Ich könnte eine kleine Führung gut gebrauchen“, sage ich betont munter. Benni soll ruhig wissen, dass ich keine Lust habe noch länger mit ihm meine Zeit zu verbringen.
Ich hake mich demonstrativ bei Thomas unter. Der ist zwar sichtlich irritiert, macht das Spielchen aber mit.
„Bis später dann“, winke ich. Benni sieht uns mit rätselhaftem Gesichtsausdruck hinterher.
Thomas erweist sich als äußerst gesprächig. Er scheint jeden hier zu kennen. Ich bin jedoch mit meinen Gedanken ganz woanders. Er war ein Fremder. Und er sollte ein Fremder bleiben. Das Tolle an Fremden ist ja, dass man sie nicht kennt und man ihnen ohne Reue das Herz au s schütten kann. Ein Fremder verschwindet genauso spurlos aus dem Leben wie er gekommen ist , deswegen ist er ja ein Fremder. Warum nur habe ich so viel getrunken? Ich vertrage einfach ke i nen Alkohol. Alkohol ist für mich wie ein Wahrheitsserum. Sobald ein Tropfen seinen Weg durch meine Kehle gefunden hat, fange ich an zu plappern. Aber ich habe meine Lektion gelernt. Ich werde nie wieder einem Fremden mein Herz ausschütten.
„Julia?“ Thomas sieht mich an. Wie lange habe ich geschwiegen? Wie lange wartet Thomas schon auf eine Antwort?
„Mittagsessen hört sich prima an“, entgegne ich hastig. Zufrieden führt mich Thomas in Richtung Cafeteria.
Für heute Abend bin ich mit Katja in der Bullerei verabredet. Sie will mir endlich Sergej vorstellen. Endlich raus aus dem Büro – weg von dem verdammten Benni.
Als ich die Bullerei betrete, schlagen mir die Stimmen der Gäste und der Geruch nach g e bratenem Fleisch entgegen. Alle Tische sind bis auf den letzten Platz besetzt. Der Stil des Resta u rants ist eher als „rustikal“ zu bezeichnen. Das Mobiliar ist bunt zusammengewürfelt und übe r haupt nicht prätentiös.
Oh, mein Gott ... ich fasse es nicht. Keine drei Schritte von mir entfernt steht der Monchichi – Tim Mälzer persönlich. Er sieht genauso aus wie im Fernsehen. Bürstenhaarschnitt, leicht u n tersetzt, Lausbubenlächeln, Karohemd und Strickpullunder. Gerade segelt die Bedienung mit einem Teller aus der Küche an ihm vorbei. Er stoppt sie, um einen kurzen fachmännischen Blick darauf zu werfen. Mit einem zufriedenen Kopfnicken entlässt er die junge Frau.
„Kann ich dir helfen?“ Ein junger Mann in Jeans und Shirt steht vor mir. Der Karte in der Hand nach zu urteilen arbeitet er hier.
„Ja, äh. Ich bin hier mit meiner Freundin verabredet“, stammele ich, noch immer von Tim Mälzers Anblick fasziniert.
Der junge Mann zieht die Augenbraue nach oben. „Hast du Lust mir den Namen deiner Freundin zu verraten, dann kann ich nachsehen, ob sie bereits hier ist?“
„Katja Völkers.“ Ich lasse meine Augen über die vollbesetzten Tische gleiten, kann Katja aber nirgends entdecken.
„Völkers, Völkers“, höre ich mein Gegenüber leise murmeln. „Nein, eine Katja Völkers kann ich nicht finden“, sagt er schließlich und sieht mich wie einen Eindringling an. Hinter mir hat sich bereits eine lange Schlange gebildet.
„Gibt es noch eine andere Bullerei ?“, frage ich.
Der Typ schüttelt den Kopf. „Nee, aber das Restaurant ist in zwei Bereiche eingeteilt. Hier vorne ist das Deli und hinten befindet sich das eigentliche Restaurant.“
Ach so. Ich komme mir ziemlich dämlich vor. Aber mal ehrlich, woher soll ich das wissen?
„Vielleicht sitzt deine Freundin ja hinten“, schlägt er vor.
Ich nicke dankbar und gehe seinem Wink folgend nach hinten. Tatsächlich eröffnet sich mir ein großer Raum, der sich deutlich vom vorderen Bereich abhebt. Ebenso das Publikum. Hier sind die Menschen deutlich schicker angezogen und plötzlich wirkt Tim mit seinen Jeans, dem Karohemd und der bunten Weste fast ein bisschen fehlpla t ziert in seinem eigenen Restaurant. Ich bin froh, dass ich noch immer meinen Anzug von heute Morgen trage. Tim Mälzer kommt auf mich zu.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“
Oho, der Chef persönlich! Witzig, sogar die Stimme klingt wie im Fernsehen und lispeln tut er auch.
„Entschuldigung“, begrüße ich ihn. Dabei versuche ich einen möglichst guten Eindruck a b zugeben, indem ich meine Haare mit einer betont lässigen Kopfbewegung, à la Paris Hilton, nach hinten und dabei einen kurzen Blick auf mein Handy werfe. „Ich suche meine Freundin.“
„Name?“ Das klingt aber sehr geschäftsmäßig und gar nicht beeindruckt.
„Julia Zoe Löhmer“,
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