Holunderliebe
anziehen. Mein Leben ist ein anderes als das eines braven Mönchleins.«
»Bei dir klingt es, als wäre es eine Todesstrafe«, erklärte Walahfrid. »Dabei kann ich dir versichern, dass mein Leben durchaus vielseitig und nicht nur von den Regeln meines Ordens geknechtet ist.« Er deutete auf seine Beete, in denen sich inzwischen ein zartes Grün zeigte. »Das hier ist doch nur möglich, wenn meine Mitbrüder für mein täglich Brot sorgen, während ich die Geheimnisse der einzelnen Kräuter erforsche. Das wäre mir als nachgeborener Sohn im Haus meiner Eltern sicher verwehrt geblieben.«
Ein Augenrollen war die Antwort. »Walahfrid, mit deinen Talenten wäre dir der Weg an den Königshof auf jeden Fall vorherbestimmt gewesen. Ein Mann wie du hätte sich immer und überall durchgesetzt – ungeachtet der Profess.«
»Gottschalk, das ist nicht wahr. Ohne eine Ausbildung, wie ich sie erhalten habe, nützten mir meine Talente wenig. Womöglich hätte ich nie erfahren, dass mir die lateinische Sprache so leichtfällt, als wäre ich im Schatten des Kapitols groß geworden – es hätte sich ja keiner die Mühe gemacht, mich diese Sprache zu lehren.« Walahfrid runzelte die Stirn. »Was erhoffst du dir von deinem Kirchengericht?«
»Gerechtigkeit!«, erklärte Gottschalk mit großer Geste.
Walahfrid lachte. »Und ein freies Bier für alle Menschen mit Brot, das sich von selber in den Backofen begibt. Gottschalk, du verlangst ein bisschen viel von deinem Leben.«
»Was soll ich denn sonst wollen? Immer nur leise durch die Kreuzgänge schleichen und Bücher kopieren oder für einen Mann beten, der mir ausreichend Geld dafür zahlt – das kann es nicht sein.« Er sah Thegan herausfordernd an. »Wie siehst du das, hoher Herr? Was hält das Schicksal für dich bereit?«
»Nicht hoher Herr«, wehrte Thegan ab. »Das wäre mein Bruder, der Titel und Land erben wird. Mir bleibt nur ein Leben als Krieger, da mein Vater mich nicht in ein Kloster gegeben hat.«
»Und?« Gottschalk strich sich die Haare aus der Stirn und sah ihn fragend an. »Bist du damit zufrieden? Hättest du gerne ein anderes Leben?«
Thegan runzelte die Stirn. »Wenn ich es recht bedenke, dann ist das eine Frage, die sich nicht stellt. Es ist uns allen vorherbestimmt, welches Leben wir zu führen haben, und wir müssen uns bemühen, es bestmöglich auszufüllen.«
»Da siehst du es, Gottschalk! So muss ein gottgefälliger Mann leben! Deine Bedenken und deine Pläne sind eine Sünde!«, rief Walahfrid aus. »Wenn alle Menschen so denken würden wie du, dann gäbe es bald keine Ordnung mehr auf der Erde.« Er dachte einen Moment nach und zuckte dann mit den Schultern. »Stell dir das mal vor: Die Mönche beten, wann immer ihnen der Sinn nach einem Gespräch mit ihrem Herrn steht. Die Bauern pflügen, wenn sie lange genug unter dem Apfelbäumchen gelegen haben. Und die Hühner legen erst dann ihre Eier, wenn sie Lust dazu haben. Ein Leben, das kein Halten mehr kennt.«
»Das grenzenlose Leben«, erklärte Gottschalk mit großer Geste. »Das ist das Dasein, auf das jeder Mensch ein Recht haben sollte. Dein Freund hier«, er deutete auf Thegan, »müsste keine Menschen mehr totschlagen, und du könntest deine gesamten Tage damit verbringen, Gedichte zu schreiben. Das Paradies!«
»Die Hölle«, widersprach Walahfrid. »Die Erde würde sich aus den Angeln heben, wenn du sie regieren würdest.«
Gottschalk erhob sich und klopfte Walahfrid auf den Rücken. »Du hast keine Ahnung, was diese Erde alles aushält, wenn wir es nur wagen, etwas Neues zu denken. Aber jetzt solltest du mit uns essen, wie es um diese Zeit Brauch auf der Sintlasau ist. Wir sollten sehen, was der Bruder in der Küche für uns bereitet hat.«
Während sie sich zum Speisesaal begaben, sah Thegan seinen Begleiter neugierig an. Woher nahm dieser Mann nur diese Freiheit der Gedanken? Er war sich keineswegs sicher, ob es sich dabei um Sünde oder um den richtigen Weg handelte.
7.
Schließlich besprengt bisweilen ein Frühlingsregen die junge Saat,
und wechselnd erquickt der schmeichelnde Mondschein
der Blätter zartes Gefieder.
W as hindert dich, auf dieses Fest zu gehen? Unser schielender Freund hier möchte lieber ein wenig dichten und seinen Pflänzchen beim Wachsen zusehen. Aber du? Die Bewohner der Klosterstadt wollen das Osterfest und den Frühling feiern, für dich sollte das doch eine willkommene Abwechslung beim Warten auf Neuigkeiten aus Worms sein!« Thegan sah
Weitere Kostenlose Bücher