Holunderliebe
er eigens das dunkelrote Oberkleid übergezogen, dass er einst im Land der Mauren hatte schneidern lassen. Anfangs hatte es nur selten Kämpfe gegeben, und die Krieger des Königs hatten sich die Zeit damit vertrieben, in den Städten schöne Dinge zu kaufen, die sie dann stolz ins Lager trugen und vor ihren Kameraden ausbreiteten. Diesen besonders feinen Wollstoff hatte er eines Tages in einer dunklen Gasse entdeckt, und der Verkäufer hatte ihm daraus nach dem Schnittmuster seines Wamses ein Oberkleid gefertigt. Er trug das gute Stück nur selten, freute sich aber jedes Mal daran, wie es sich unter seinen Fingern anfühlte.
Während er durch die engen Straßen dem Klang der Musik und dem Gelächter entgegenging, hob er verstohlen das Salbeiblatt unter seine Nase. Es roch in der Tat wunderbar. Entschlossen verrieb er es zwischen seinen Handflächen und strich sich dann mit beiden Händen kräftig über Hals und Brust. Vielleicht hatte der schielende Mönch sogar recht, und der feine Geruch zog die Mädchen wirklich an. Auch wenn Thegan sich nicht recht vorstellen konnte, wie ein Mönch wie Walahfrid überhaupt zu irgendwelchen Erfahrungen mit dem schönen Geschlecht kommen sollte.
Mit diesen Gedanken bog er um die nächste Ecke und stand direkt vor dem Tanzboden auf dem Ergat. Unter der mächtigen Linde des Dorfplatzes drängten sich Männer in bunter Kleidung und junge Frauen, die sich Bänder in die Haare und um die Kopftücher geflochten hatten. Gelächter und Gesang erfüllten die Luft.
Thegan lehnte sich unauffällig im Halbschatten gegen die Ummauerung eines Brunnens. Die Trommel gab den Takt des nächsten Liedes vor, zu dem die Menschen tanzten – erst langsam und dann immer schneller. In seiner Nähe wurde Wein ausgeschenkt. Womöglich war es Rebensaft direkt von der Sintlasau. Seit einigen Jahren wurden hier Trauben angebaut – und es hatte sich gezeigt, dass das Klima dieser Insel dem Wein mehr als förderlich war. Eigentlich war der Rebensaft fast ausschließlich den Mönchen vorbehalten – aber wahrscheinlich gab es heute, an diesem ausgelassenen Osterfest, eine Ausnahme.
Der Geruch von gebratenem Fleisch und Fisch mischte sich aufs Köstlichste, irgendwo musste auch Routger seine Ware feilbieten. Oder war diese Aufgabe womöglich Hemma zugefallen? Thegan sah sich etwas genauer um. Die Sonne schien hell vom Himmel, und er konnte in den Schatten der Fachwerkhäuser mit ihren tief heruntergezogenen Dächern mit den dunklen Holzschindeln nur wenig erkennen.
Er legte eine Hand über seine Augen, und auf einmal sah er sie. Hemma schien geradezu über die Tanzfläche zu fliegen, ihre Füße markierten den Takt des Liedes fast besser als die Trommel. Dabei bewegte sie sich von einem Tanzpartner zum anderen, und Thegan bildete sich ein, dass die Tänzer die blonde junge Frau nur ungern wieder aus den Händen ließen. Ihre Haare trug sie heute unter einem leuchtend blauen Tuch verborgen, ihr Kleid passte farblich dazu, um ihre schmale Taille hatte sie ein buntes Tuch gebunden. Auf ihren Lippen sah er ein fröhliches Lachen, mit dem sie in seinen Augen sogar dem Strahlen der Sonne Konkurrenz machte. Überrascht stellte er fest, dass sein Herz beim Anblick der Fischerstochter schneller schlug. Hatte Walahfrid mit seinen Scherzen über seine Gefühle für dieses Mädchen womöglich doch recht gehabt?
Während er darüber nachdachte, wie er Hemma nur auf sich aufmerksam machen konnte, wurden seine Handflächen feucht. Verlegen wischte Thegan sie sich an seinem feinen Gewand ab – und überlegte gleich, ob er unter den einfachen Leuten bei diesem Fest womöglich auffiel wie ein bunter Vogel unter lauter Raben. Er zögerte und erwog für einen Moment, ob er nicht doch lieber hinter die schützenden Mauern des Klosters zurückkehren sollte.
Aber noch bevor er sich vom Anblick der tanzenden Hemma losreißen konnte, stand Rothild vor ihm und streckte ihm ein Brot hin, das mit gegrilltem Fisch belegt war. »Das soll ich dir von meiner Freundin bringen. Sie ist der Meinung, du musst dich stärken, bevor du zu ihr auf die Tanzfläche kommst.« Sie schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich bin allerdings der Meinung, dass sie mich nur benutzt, um dich wissen zu lassen, dass sie deine Nähe sucht. Und ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich eine gute Idee ist.« Sie sah ihn lauernd an. »Ich habe keine Ahnung, was du mit meiner Freundin vorhast – aber eines sollst du wissen: Du darfst ihr keine
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