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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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erscheint mir nicht das härteste Schicksal zu sein, das einem Jungen meines Alters widerfahren kann.«
    Das kalte Wasser umfing Thegans Gliedmaßen wie ein eisiger Handschuh. Er spürte, dass es an der Zeit war, den See wieder zu verlassen – auch wenn er hier im Wasser wohl am glücklichsten war. Mit einigen kraftvollen Zügen schwamm er zurück ans Ufer und legte sich unbekleidet in das frische Gras, um seine Haut von der warmen Sonne trocknen zu lassen. Zu seinem Entsetzen hörte er schon nach wenigen Augenblicken Stimmen, die schnell näher kamen. Eilig streifte er sein Gewand über und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht.
    Als Hemma und Rothild um die Ecke bogen, fanden sie Thegan bereits wieder in seinen Kleidern – auch wenn er immer noch damit beschäftigt war, die Bänder an den Schuhen neu zu schnüren. Hemma lächelte ihn unbefangen an. Er sollte nicht merken, dass sie Rothild eigens darum gebeten hatte, sie auf diesem Weg zu begleiten. Sie wollte den jungen Mann mit den dunklen Locken und dem traurigen Gesicht unbedingt kennenlernen.
    »Was hat dich denn hierher ans Wasser verschlagen? Hast du keine ordentliche Arbeit, der du an einem Tag wie diesem nachgehen solltest?« Ihre Stimme klang in seinen Ohren wie ein feines Glockenspiel im Wind. Ein Glockenspiel, das ihn sacht verspottete.
    »In der Tat gehe ich keinem Handwerk nach, ich muss also an einem schönen Tag wie diesem nichts tun, außer Gott einen guten Mann sein lassen und ihm für die Sonne danken.« Endlich war er mit seinen Schuhriemen fertig und richtete sich zu seiner stattlichen Größe auf. »Ich lebe im Kloster als Gast des Abtes. Als solcher bin ich in diesen Wochen von allen Pflichten befreit.«
    Sie sah ihn mit kaum verhohlener Neugier an. »Was muss man tun, um zu so einer Ehre zu kommen?«
    »Spenden an das Kloster sind durchaus behilflich«, erklärte Thegan mit einem ironischen Lächeln. »Abt Erlebalds Gastfreundschaft hat mich einen Teil meines Lohnes als Kämpfer bei den Mauren gekostet.« Er verneigte sich höflich in Richtung der beiden jungen Frauen und konnte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass sie ihm vorsätzlich gefolgt waren. »Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Thegan.«
    »Rothild, Gemahlin des Reginolf«, erklärte die junge Frau, mit der das hellblonde Mädchen sich schon vorher unterhalten hatte. Sie deutete auf ihre Begleiterin. »Und das ist Hemma, Tochter des Routger.«
    Hemma nickte ihm zu und fuhr fort: »Ich muss gestehen, ich habe noch nie einen Mann getroffen, der sich dem Müßiggang hingeben kann. Womit beschäftigst du dich den ganzen Tag?«
    »Ich wandere umher und sehe den Menschen von Sintlasau bei ihrem Tun zu.« Er lächelte, als er sah, wie ihre Augen vor Überraschung etwas größer wurden, und redete rasch weiter, um vor diesem Mädchen nicht wie ein nichtsnutziger Tropf dazustehen. »Die Wahrheit ist: Ich war jahrelang im Land der Mauren und bin erst vor wenigen Monaten heimgekehrt. Jetzt kuriere ich meine Wunden, bevor ich in das Haus meines Vaters zurückkehre und sehe, was es dort für mich zu tun gibt. Da mir die Untätigkeit aber nicht gefällt, helfe ich seit einigen Tagen einem Mönch bei der Pflege seines Gärtchens.« Er merkte selber, dass das wie eine schwache Entschuldigung klang.
    »Ungewohnte Arbeit für einen Krieger«, bemerkte das Mädchen, das als Hemma vorgestellt worden war. »Bearbeitest du die Beete mit einem Schwert?«
    Lachend schüttelte Thegan den Kopf. »Nein! Einerseits würde mein Schwert sicherlich stumpf werden, wenn ich damit im Boden zwischen den Steinen und Erdklumpen herumgraben würde. Und dann gebietet es die Achtung vor dem Frieden des Klosters, dass ich mein Schwert nicht bei mir trage, während ich zu Gast bin. Nein, Walahfrid ist so freundlich, mir seine Werkzeuge zu überlassen – und ich bin mir sicher, dass seine Harken, Rechen und Schaufeln eher zur Pflege der Beete geeignet sind!«
    Wieder diese Stimme, die beständig so wirkte, als würde ihre Besitzerin lächeln. »Aber fällt dir das denn leicht? Du hast doch sicher nichts anderes als das Kriegshandwerk gelernt?«
    »Man ist doch nie zu alt, um etwas Neues zu erlernen, oder? Und Walahfrid ist ein geduldiger Lehrer«, erklärte Thegan.
    Hemma musterte den Fremden neugierig. Die schwarzen Locken umgaben ein ungewöhnlich bleiches Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem dunklen Bartschatten. Die Lippen waren schmal, doch der Mann hatte ein durchaus ansteckendes

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