Holunderliebe
Vielleicht hatte er den Anstand, wenigstens sein Frühstück selber zu zahlen. Auch wenn ihm das nicht ähnlich sah. Von den beiden unbemerkt, machte ich mich auf den Weg in Richtung Kloster.
Der Nachbau von Walahfrids Gärtchen lag verlassen in der Vormittagssonne. Täuschte ich mich, oder waren die Kräuter seit dem Vortag allesamt grüner geworden? Neugierig ging ich zwischen den Hochbeeten umher und sah mich um. Neben einem Beet, in dem eine Unzahl von winzigen grünen Blättern keimte, kniete ich mich nieder und fuhr vorsichtig mit der Hand darüber. Es roch aromatisch, leicht pfeffrig, kein Kraut, das ich kannte. Ich musste unbedingt Simon fragen, was das denn war. Oder mir den Plan des Walahfrid genauer ansehen – da müsste ich ja feststellen können, was hier wuchs.
Ich fuhr ein weiteres Mal über die Blätter und roch noch einmal an meinen Händen. Was für ein wunderbarer Geruch … Doch mit einem Mal wurde mir ein wenig schwindelig. Ich schloss für einen Moment die Augen.
13.
Wenn nicht, enteilend, Thalia mich zwänge,
die Segel zu streichen,
und mich die Muse nicht mahnte,
doch endlich den Hafen zu suchen,
könnte ich, weitererzählend, dir mancherlei
Blumen noch pflücken.
D u musst etwas wissen! Irgendetwas, das sich noch nicht herumgesprochen hat, das noch keiner kennt, das wirklich hilft. Bitte, du musst mir sagen, dass es etwas gibt!« Thegan strich sich verzweifelt seine Locken aus der Stirn und sah Walahfrid bittend an.
Der hob die Hände und schüttelte langsam den Kopf. »In diesen Weiberdingen weiß jede Hebamme mehr als ich. Die kennen jedes Kraut, das hier wächst und irgendeinen Einfluss aufs Kinderkriegen hat. Als Mönch habe ich kein allzu breites Wissen über Frauensachen. Sicher, es gibt Himbeerblätter zur Erleichterung der Geburt, der wird als Tee getrunken.« Er dachte nach. »Bettstrohkräuter, die das Wochenbett bereiten – das sind Salbei, Wermut, Waldmeister, Labkraut, Schafgarbe, Johanniskraut und Frauenmantel. Dost hilft auch. Aber bei einer wirklich schwierigen Geburt hilft das alles nichts.« Walahfrid hob seinen Blick und sah Thegan in die Augen. »Du hast es bestimmt selber in der Bibel gelesen – oder zumindest von der Kanzel gehört: Mit der Vertreibung aus dem Paradies wurden die Frauen für alle Zeiten dazu verdammt, unter Schmerzen zu gebären. So manche Frau ist den Schmerzen und den Qualen der Geburt nicht gewachsen und stirbt dabei. Uns bleibt nur, ihr mit Gebeten und tröstenden Worten beizustehen und ihr am Ende die letzte Ölung zu geben. Dem Kind versuchen wir noch die Segnungen der Taufe zu geben, damit es nicht als Ungetauftes sterben muss und auf dem Acker der Gottlosen landet. Mehr werden wir niemals tun können, es ist Gottes Wille.« Er seufzte. »Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen und dir irgendwie Trost geben. Aber es ist Gottes ewiger Ratschlag, daran können wir nichts ändern.«
Für einen Augenblick herrschte Schweigen in dem kleinen Garten. Dann ertönte von der Bank, auf der es sich Gottschalk wie immer gemütlich gemacht hatte, ein verächtliches Schnauben. »Das kann doch nicht wahr sein! Wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, sollen die Frauen ihr Schicksal ertragen? Gott hat uns nicht nur ein Schicksal gegeben, das wir nicht kennen, sondern auch einen Geist, der einen Ausweg ersinnen kann. Du kannst doch nicht von dem schwachen Geist einer Hebamme erwarten, dass sie ein Kraut entdeckt, das eine neue Wirkung hat. Frauen haben keinen forschenden Geist, das hat Gott so eingerichtet. Also sollten wir ihnen auch nicht die Suche nach einem Ausweg aus der Qual der Geburten überlassen.« Er stand auf und fing an, zwischen den Beeten auf und ab zu gehen. »Walahfrid, warum schreibst du an diesem Gedicht? Wenn ich es richtig verstanden habe, dann soll jeder einfältige Geist durch deine Anleitung befähigt werden, Kräuter richtig einzusetzen. Vielleicht musst du das noch etwas ausweiten und dich auch um diese Weiberdinger kümmern!«
Walahfrid hob eine Augenbraue und sah seinen Freund an. »Gottschalk, du bist von Sinnen. Ein Mönch soll sich um die Qualen der Geburt kümmern? Ich bleibe dabei: Die Hebammen sind gut genug, ihr Wissen ist seit Menschengedenken überliefert, und es kann nicht die Aufgabe eines Mönches sein, ihnen zu helfen.« Er drehte sich zu Thegan um. »Was meint denn die Hebamme?«
»Nicht viel. Sie sagt, dass man erst während der Geburt sehen kann, ob es Schwierigkeiten gibt
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