Holunderliebe
oder ob das Kind schnell ans Licht der Welt kommt. Sie kann vorher nur ertasten, in welcher Lage das Kind im Mutterleib liegt.«
»Hast du selber mit ihr gesprochen?« Walahfrid sah Thegan gespannt an.
Doch dieser winkte ab. »Nein, das hat Hemma mir erzählt. Wie würde es denn aussehen, wenn ich mit so einer Frau reden würde? Sie lebt abseits von allen anderen und ist eine Hexe. Das glauben zumindest die Leute in der Klosterstadt.«
»Kein Grund, nicht mit ihr zu reden. Vielleicht gibt es eine Lösung, an die bisher keiner gedacht hat. Geh zu ihr! Sie hat mehr Ahnung von Weiberkräutern als ich, das kannst du mir glauben!« Walahfrid sah ihn auffordernd an.
Zögernd stand Thegan auf. »Ich bin mir nicht sicher, ob es sich für einen Adeligen schickt, zu so einer Frau zu gehen …«
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dich entschieden hast, bei deiner Hemma zu liegen. Wenn du sie nicht verlieren willst, dann solltest du etwas tun. Denn liegt sie erst einmal in den Geburtsschmerzen und verrinnt ihr Leben wirklich so, wie ihr Vater es angekündigt hat, dann ist es wahrscheinlich zu spät, um nach Hilfe zu suchen.« Walahfrid machte eine wedelnde Handbewegung, mit der er Thegan offenbar davonscheuchen wollte.
Der verschwand zögernd. Er hatte die Frau, die auf der Sintlasau als Hebamme arbeitete, bisher noch nicht gesehen. Hemma schien ihr große Achtung entgegenzubringen und sich vielleicht sogar ein wenig vor ihr zu fürchten.
Der Weg führte durch die Klosterstadt, an der Hochwart vorbei zur anderen Inselseite. Inmitten einer kleinen Gruppe von Birken stand die windschiefe Hütte der Hebamme. Langsam näherte Thegan sich.
»Was verschafft mir die Ehre?«, erklang hinter ihm plötzlich eine junge Stimme. Thegan fuhr herum und stand einer Frau gegenüber, die sicher keinen Tag älter als er selber war. Ihre Haare waren von keinem Tuch verborgen, sondern lagen in glänzenden Flechten auf ihrer Schulter.
»Ich suche die Hebamme«, erklärte er. »Weißt du, wo ich sie finden kann?«
Ein belustigtes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Du stehst vor ihr. Mein Name ist Bertrada. Ich kenne dich nicht, aber da du hergekommen bist, nehme ich an, dass die Zeit deiner Frau gekommen ist.« Sie sah seine feinen Kleider genauer an. »Oder womöglich die Zeit deiner Magd, die du in einem unbedachten Moment bestiegen hast. Ist es so?«
Er musterte sie näher. Ein offenes Gesicht, ein Rock bis zu den Knöcheln, nackte Füße. Sie folgte seinem Blick, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Ich weiß nicht, was deine lüsternen Blicke bedeuten, aber ich helfe nur Frauen – wenn du jemanden zu deiner Belustigung suchst, dann musst du weiterwandern.«
»Verzeih«, erklärte Thegan hastig. »Ich bin unhöflich. Es ist nur so, dass ich mit einer älteren Frau gerechnet habe. Hemma hat nicht erwähnt, dass du so jung bist.«
»Ah, du bist es also, der das blonde Ding in Schwierigkeiten gebracht hat.« Die Hebamme entspannte sich wieder. »Du machst dir zu Recht Sorgen. Hemmas Familie ist seit Jahrhunderten verflucht. Meine Mutter hat mir davon erzählt, als sie mich das Hebammenhandwerk gelehrt hat. Sie war dabei, als Hemmas Mutter starb. So etwas geschieht nicht selten, und doch ist es für uns Hebammen immer wieder schrecklich.«
»Was kannst du für Hemma tun?« Thegan sah die junge Frau drängend an. »Ist es wirklich so gefährlich, wie ihr Vater erzählt?«
Ein einfaches Nicken war die Antwort. »Meine Mutter hat ihr Handwerk verstanden, sie wusste vorher von den Schwierigkeiten, die auf sie zukommen würden. Und dennoch konnte sie nichts tun. Manche Frauen bluten zu sehr, das Kind scheint sie von innen zu zerfleischen. Doch leider können wir nichts dagegen ausrichten.«
»Gar nichts? Ich kann doch nicht in den nächsten Monaten einfach nur zusehen, wie Hemma immer schwerer an unserem Kind und an ihrem Tod trägt. Kann es nicht sein, dass sie von diesem Fluch verschont bleibt? Sie ist doch nicht nur die Tochter ihrer Mutter, sondern auch die Tochter von Routger. Er scheint doch aus einer sehr kräftigen Familie zu kommen.«
Bertrada lachte auf. »Da hast du wohl recht. Routger kann nichts und niemand umwerfen! Leider ist es aber so, dass die Töchter nach ihren Müttern kommen, wenn es um Dinge wie das Kinderkriegen geht. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich besser mit dem Schlimmsten rechne. Bei Hemma erscheint mir jede
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