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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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konnte. Dreizehn Jahre musste ich darauf warten. Seitdem führe ich dieses Leben. Und es geht mir wie meinen Eltern. Ich bin zufrieden …«
    Ich schwieg betroffen. Meine Mutter und mein Vater waren immer so verlässlich an meiner Seite gewesen, und wie sich ein Leben als Waise anfühlte, wollte und konnte ich mir nicht ausmalen. Mitfühlend legte ich meine Hand auf die seine.
    »Ich hoffe, deine Tante war nett?«
    Simon schien aus seinen Gedanken aufzuschrecken. »Was? Ja, sicher. Sie hat nur mit diesem Laden hier wenig am Hut. Sie lebt gerne in Konstanz, in einem kleinen Hexenhäuschen in der Altstadt. Ist sogar ein Garten dabei. Nein, nein, mir ist es bei ihr gut ergangen. So gut, wie es einem Jungen gehen kann, der seine Eltern verloren hat.«
    Mit einem Mal hatte der Abend seine Leichtigkeit verloren. Ich spürte, wie der Tee seine beruhigende schlaffördernde Wirkung entfaltete, und sehnte mich nach einem Bett. Und danach, diesen traurigen Simon wiederzusehen.
    »Wer hat sich um das Haus hier gekümmert, während du in Konstanz warst? Die Beete machen doch sicher eine Menge Arbeit.«
    Ein Schulterzucken. »Niemand. Meine Tante ist zweimal im Jahr hergekommen und hat gelüftet, der Laden unten wurde abgeschlossen, die Beete sind verwildert. Als ich wieder herkam, habe ich einen Sommer lang nur Brennnesseln gejätet und echtes Unkraut weggeschmissen.« Auf sein Gesicht schlich sich wieder ein Lächeln. »Es gibt eine Obergrenze für Gierschsalat und Brennnesseltee. Die habe ich in jenem Sommer locker überschritten. Es ist unglaublich, wie die Natur sich alles wiederholt, wenn man ihr nur eine Gelegenheit dazu gibt.«
    »Das ist deine Lösung gegen das Zeug? Du isst es auf?« Dieser Mann war anders als jeder andere, den ich jemals kennengelernt hatte.
    »Sicher. Schmeckt eigentlich lecker. Man hat das Zeug nach einiger Zeit nur satt. Deswegen habe ich einen Kompost, auf den ich den Rest der ungewollten Kräuter schmeiße. Ich muss nicht alles und jedes aufessen, was ich nicht mehr haben will.« Er musterte mich. »Du siehst plötzlich todmüde aus. Möchtest du zurück in deine Pension? Versteh mich nicht falsch, ich will dich nicht rauswerfen. Aber mit deiner Grippe solltest du vorsichtig sein. Sonst kommt die noch einmal wieder. Wäre doch schade, denn ich könnte dir morgen noch so einiges hier zeigen.«
    »Stimmt, mit einem Mal ruft mein Bett schon ziemlich laut nach mir. Kann ich dir noch mit dem Abwasch helfen?«
    Ein Kopfschütteln war die Antwort. »Ich mag ein merkwürdiger Kauz mit vielen Kräutern sein, der sogar sein Essen selber kochen kann. Aber ich habe eine Spülmaschine, keine Sorge.«
    Damit brachte er mich an die Tür und sah mir zum Abschied in die Augen. »Ich würde mich freuen, wenn ich dich morgen wiedersehe. Kommst du?«
    »Klar, gerne. Ich sehe mich noch ein bisschen am Kloster um und zähle alte Steine, und dann komme ich. Du bist einfach unten im Laden?«
    »Sicher. Mich zu finden ist ziemlich einfach!«
    Er lächelte mich noch einmal an, winkte – und dann stand ich allein auf der Straße. Es roch nach feuchter Erde, nach Gras und nach irgendeiner Blume, die ich nicht einordnen konnte. Langsam lief ich die Straße zurück zur Pension. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Walahfrid und seine Ambrosia, Simon und seine Kräuter, dazu der tragische Tod seiner Eltern und das warme Leuchten in seinen Augen … Irgendwie hatte das alles etwas zu bedeuten. Aber ich war viel zu müde, da noch etwas herauszufinden, und ging gleich zu Bett. Morgen wollte ich Simon wiedersehen, mehr musste ich im Moment nicht wissen.
    Keine Ahnung, ob es der Tee oder die Ruhe auf der Insel war, aber ich schlief tief und traumlos und wachte so erholt auf wie schon lange nicht mehr. Die Vögel veranstalteten vor meinem Fenster ein unglaublich lautes Konzert, und ich schlüpfte nach einer kurzen Dusche, so schnell es ging, in meine Kleider. Inzwischen waren sogar meine Schuhe wieder trocken. Beschwingt ging ich in den kleinen Frühstücksraum, in dem ich an diesem Tag der einzige Gast war. Die Wirtin brachte mir meinen Kaffee und ein frisch gekochtes Ei, besser konnte ein Tag wirklich nicht starten. Glücklich sah ich aus dem Fenster und freute mich über den klaren, blauen Himmel. Heute würde ich einiges herausfinden, da war ich mir sicher. Sowohl über mein altes Manuskript und den alten Walahfrid als auch über den netten Kräutermann von gestern Abend.
    »Hier steckst du also!«
    Meine Gedanken wurden

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