Holunderliebe
Hoffnung verfehlt. Sieh sie dir doch an: sehr schmal, fast zerbrechlich. So eine Frau kann keine Kinder zur Welt bringen.«
»Ich kann also nur beten, warten und Abschied von ihr nehmen? Dieses Mädchen ist das Glück meines Lebens, ohne sie hätte ich mich wohl längst in die Fluten des Sees gestürzt …«
»Du bist nicht der erste Mann, von dem ich solche Worte höre. Aber Gott hat uns Frauen die Bürde des Gebärens auferlegt. Davon kommen wir nicht los, sosehr wir uns das auch wünschen. Es sei denn …« Sie zögerte.
»Ja, was?« Thegan spürte, dass diese junge Frau vielleicht eine Lösung für ihn hatte. »Was kann ich tun?«
»Ihr könnt das Kind opfern. Hemma kann es mit einem Trank abtöten und wird es problemlos auf die Welt bringen – es ist noch viel zu klein, um ihren Tod zu verursachen.« Die Hebamme sah ihn aus ihren dunklen Augen an. »Aber das habt ihr niemals von mir gehört, das widerspricht dem ewigen Ratschlag unseres Herrn und bringt euch geradewegs in die Hölle. Und mich gleich mit.«
Langsam ließ Thegan sich auf einen Stein sinken. Eine Sekunde lang war Hoffnung in ihm aufgeflammt. Aber jetzt … Er konnte sich Hemmas Antwort auf diesen Vorschlag schon ausrechnen. »Das wird sie niemals tun. Sie ist viel zu glücklich, dieses Kind unter dem Herzen zu tragen. Für Hemma ist es undenkbar, dass sie es tötet, damit könnte sie nicht leben. Es würde sie ebenso sicher umbringen wie diese Geburt.«
»Das hat sie mir auch gesagt«, meinte die Hebamme. »Ich habe ihr den Trunk angeboten, doch sie hat ihn auf den Boden geschüttet. Was ich ihr übel genommen habe, denn es ist schwierig, die richtige Mischung der Kräuter zu finden. Immerhin soll es nur dem Kind, nicht aber der Mutter schaden.«
»Ich kann dich für deine Mühe entschädigen!«, bot Thegan an.
»Das weiß ich zu schätzen. Ich werde auch weiterhin nach einer Lösung für deine Hemma suchen, aber ich möchte nicht zu viel Hoffnung in dein Herz pflanzen. Meine Mutter hat ebenfalls ohne Unterlass versucht, den Frauen ihre Ängste und Schmerzen zu nehmen – und doch ist es ihr nicht an jedem Tag und bei jeder Geburt gelungen.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Es tut mir leid. Das Gift war womöglich Hemmas einzige Möglichkeit, um an deiner Seite zu bleiben. Und jetzt entschuldigt mich, ich möchte in der Dämmerung noch ein wenig nach Pilzen suchen. Meine Vorräte dürfen niemals geleert sein. Ich weiß nicht, wann der Nächste Hilfe suchend in meinem Wäldchen auftaucht.«
Damit wandte sie sich ab und ging.
Thegan starrte der Frau hinterher, die geräuschlos zwischen den Bäumen verschwand. Damit schien jede Hoffnung vergeblich zu sein. Er kannte Hemma und ihre Liebe zum Leben: Niemals würde er sie überreden können, das kleine Wesen unter ihrem Herzen zu töten. Und auch ihm wurde es bang, wenn er an diese Möglichkeit dachte. Es musste einen anderen Weg geben.
Nachdenklich machte er sich auf den Heimweg, zurück in seine Kammer im Kloster. Seine Gedanken wanderten zum maurischen Medicus, der ihm einst geholfen hatte. Er hatte über die Rezeptur vielerlei Tränke verfügt, die hierzulande sicherlich noch keiner kannte. Mit einem Mal beschleunigte Thegan seine Schritte. Er musste in seinem Reisesack nachsehen, ob darin noch immer das Beutelchen aus glänzendem Stoff lag. Warum nur hatte er dem Mauren damals nicht genauer zugehört, als der seine Schätze vor ihm ausgebreitet hatte?
Im Kloster angekommen, lief ihm der Schweiß über die Stirn. Erleichtert stellte er fest, dass der Sack, der ihn auf all seinen Reisen begleitet hatte, noch immer dort lag, wo er ihn achtlos hingeworfen hatte, nachdem er vor Monaten seine wenigen Kleidungsstücke herausgenommen hatte. Mit fliegenden Fingern nestelte er den Knoten auf, der ihn verschlossen hielt. Wenige Augenblicke später zog er einen kleinen Beutel aus fein glänzendem Stoff ans Tageslicht. Vorsichtig öffnete er das Lederbändchen und schüttete den Inhalt auf seine Handfläche. Es war ein gutes Dutzend dunkelbrauner Kugeln mit leicht runzliger Oberfläche.
Thegan runzelte die Stirn. Was hatte ihm der Medicus nur versucht zu sagen, als er ihm diese Samen gab? Waren es überhaupt Samen – oder handelte es sich um Früchte? Aber waren nicht alle Früchte auch Samen? Der Mann hatte ihm damals diese Kügelchen überreicht, als würde er ihm ein großes Geheimnis oder gar einen Schatz anvertrauen – aber Thegan war damals so in seinen körperlichen
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