Holunderliebe
gedrückt«, erklärte Thegan ungeduldig. »Leider habe ich nicht begriffen, wozu diese Samen wirklich gut sein sollen oder wie man sie einsetzen kann. Aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann stillt diese Pflanze schwere Blutungen. Das dürfte bei einer Geburt doch hilfreich sein, meinst du nicht?«
Das Misstrauen wich nicht aus dem Gesicht des Mönches. Er musterte seinen Freund mit gerunzelter Stirn. »Wie kommt ein Maure dazu, seinem Feind eine hilfreiche Medizin in die Hand zu geben? Er müsste doch glücklich sein, wenn ein Christ hilflos verblutet. Woher willst du wissen, dass er dir nicht ein Gift gegeben hat?«
»Weil er ganz sicher kein Mensch war, der einem anderen Schaden zufügen wollte«, erklärte Thegan. »Ich habe ihn gut gekannt.«
»Einen Mauren? Wie bist du dazu gekommen, einen Ungläubigen kennenzulernen? Deine Aufgabe wäre doch gewesen, ihn umzubringen! Ich bleibe dabei: Du solltest diese Kügelchen am tiefsten Punkt des Sees versenken. Einem Mann, der nicht an unseren Herrn glaubt, ist nicht zu trauen.«
»Walahfrid, du redest wie ein Holzkopf, der noch keinen Schritt außerhalb dieser Insel getan hat!«, platzte es aus Thegan heraus. »Wenn ich dir sage, dass ich dem Mann vertraue, der mir diese Samen gegeben hat, dann kannst du dich darauf verlassen. Dieser Mann hatte mehr als eine Möglichkeit, mein Leben zu beenden, und er hat keine einzige ergriffen. Im Gegenteil: Er hat gegen meinen Tod gekämpft wie eine Löwin um ihr Junges. Hätte er meinen Tod gewollt, dann hätte es gereicht, wenn er sich zurückgelehnt hätte.«
Jetzt war es an Walahfrid, überrascht zu sein. »Willst du damit sagen, dass deine Verletzungen nicht von einem christlichen Heilkundigen behandelt wurden?« Er schüttelte den Kopf und murmelte eher zu sich selbst. »Das ist aber doch nicht möglich …«
Thegan legte ihm die Hand auf die Schulter. »Und doch ist es die Wahrheit. Die Verletzungen hat mir ein Maure beigebracht, das ist wahr. Er hielt mich für tot und ließ mich in einem Hauseingang liegen. Doch als sich die Nacht über die Stadt senkte, erlangte ich das Bewusstsein wieder. Ich konnte mich nicht bewegen, war fiebrig und davon überzeugt, dass ich noch in jener Nacht vor meinen Schöpfer treten würde. Doch alles kam ganz anders: Ein Mann ging durch die Straßen, wich den Toten aus und war offensichtlich in Eile. Dann blieb er vor mir stehen, so als hätte er gespürt, dass ich dem Tode nahe war. Er fasste an mein Handgelenk, tastete nach dem Schlag meines Herzens und berührte meine fiebernde Stirn. Dann winkte er einem Diener, der hinter seinem Herrn herlief. Er gab ihm einige Befehle in der Sprache der Mauren – und noch bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen konnte, hob er mich hoch, legte mich auf seine Schultern und trug mich durch die Straßen in das Haus seines Herrn. In den nächsten Tagen schwebte ich zwischen Leben und Tod. Ich denke sogar, näher am Tod als am Leben. Du hast meine Wunden gesehen, es ist fast unmöglich, mit solchen Verletzungen zu überleben. Aber dieser Maure gab mir lindernde Tränke, kümmerte sich um meine Wunden und sorgte dafür, dass ich nicht in meinem eigenen Dreck verreckte.« Thegan zögerte. Bis zu diesem Punkt war ihm die Erzählung leichtgefallen. Die Hilfe des Mauren war überraschend, aber was hätte er als Sterbender schon tun können.
Walahfrid sah ihn gespannt an. »Hast du herausgefunden, warum er sich eines Christen angenommen hat? Hat er versucht, dich zum Glauben der Mauren zu bekehren?«
»Nein, nichts von alledem. Er war ein Medicus, der es als seine Aufgabe ansah, anderen Menschen zu helfen. Ich denke, es war ihm egal, zu welchem Gott die Hilfesuchenden beten. Als es mir besser ging, wurde ich neugierig, habe mich nach den Tränken und Kräutern erkundigt, die er mir gab. Irgendwann hat er mir diese Samen in die Hand gedrückt und mir mit vielen Gesten bedeutet, dass es sich um eine besonders wertvolle Pflanze handelt.«
»Und dann? Hat er dich einfach zurück ins Feldlager der Christen geschickt, als es dir besser ging? Niemand ist doch so dumm, seinem Henker noch das Beil zu schärfen!«
»Er hat mich nicht gehen lassen«, gab Thegan zu.
»Was ist denn dann passiert?« Walahfrid sah seinen Freund an, und seine Augen weiteten sich. »Du hast ihn niedergeschlagen, weil du gefürchtet hast, dass er dich eines Tages an deine Feinde ausliefert?«
»Nein, der Grund für meine Albträume ist ein anderer. Eines Tages kam
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