Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
Vom Netzwerk:
Dinge. Ihre Freundin ist in ihren Armen gestorben, da fällt es ihr natürlich schwer, dem eigenen Schicksal gelassen entgegenzusehen.«
    »Ich finde bestimmt noch etwas, das ihr besser helfen kann«, erklärte Walahfrid. »Ihr dürft die Hoffnung nicht sinken lassen.«
    »Wenn du meinst.« Thegan seufzte. »Um von etwas Schönerem zu reden: Wie geht es deinem Gedicht? Wolltest du nicht im Herbst fertig sein? So wie es aussieht, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Nachtfröste über die Sintlasau hereinbrechen.«
    »Keine Sorge, ich werde nicht mehr lange brauchen. Dann werde ich anderen Aufgaben nachgehen müssen …« Walahfrid sah nachdenklich aus.
    »Anderen Aufgaben? Was könnte das sein?«
    »Ruhm und Ehre!« Walahfrid zwang sich zu einem Lachen. »Ich soll an den Hof des Königs kommen. Für meinen Geschmack zu viele Menschen, zu wenig Natur und jede Menge Niedertracht auf jeden Zipfel der Macht, den man zu fassen bekommt. Du solltest für mich beten, wenn mir dieses Schicksal widerfährt.«
    »Du brauchst keine Gebete«, winkte Thegan ab. »Wie ich dich kenne, liegt dir der Hof in kürzester Zeit zu Füßen, und der König fällt keine Entscheidung mehr ohne dich. Walahfrid, du bist zu klug, als dass man dich nicht schätzen würde.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr. Mein Gärtchen wird auf jeden Fall schon nächstes Jahr nur noch ein Hort für Unkraut sein. Du wirst dann auch nicht mehr hier sein, um dich darum zu kümmern.« Bekümmert sah Walahfrid die Beete an. »Ewig schade.«
    »Aber es wird doch weiterhin Kranke geben, die auf die Heilkraft dieser Kräuter angewiesen sind. Was wird denn dann aus ihnen? Wird man sich nicht weiter darum kümmern, dass die Pflanzen wachsen und gedeihen?«
    »Das wäre sinnvoll und gut. Aber der Bruder Infirmarius … Du hast ihn kennengelernt. Er ist ein Freund des Aderlassens, und dafür benötigt er nur ein scharfes Messer. Außerdem hat Gott ihm nicht die Gabe des Gärtnerns geschenkt. Und das ist noch milde ausgedrückt. Ich fürchte, unser Infirmarius könnte nicht einmal Brennnesseln anbauen.« Walahfrid seufzte. »Nein, die Kräuter muss unser Kloster künftig von außerhalb beziehen.«
    »Aus der Klosterstadt?«
    Ein Schulterzucken war die Antwort. »Wenn sich dort jemand fände, der befähigt ist, unseren Bedarf zu decken, dann würde man diese Kräuter wohl mit Freude aus der Klosterstadt beziehen. Aber auch dort gibt es nur wenige Freunde der Heilkunst. Meist geht es den Menschen um den reichlichen Anbau von Wein, Getreide und Bohnen. Sie wollen satt werden. Um ihre Gesundheit machen sie sich nur Sorgen, wenn es fast zu spät ist.«
    »Mir würde das Freude bereiten«, murmelte Thegan und sah nachdenklich auf das Gärtchen. In seinem Kopf entstand mit einem Mal ein Plan von einer Zukunft ohne Schwerter.

17.
    E ine Mücke sirrte mit hohem Ton an meinem Ohr, wurde lauter und verstummte plötzlich. Mit einem kräftigen Schlag auf meinen Hals hoffte ich, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Vergeblich. Augenblicke später ertönte an meinem Ohr wieder dieser entnervend hohe Ton.
    Langsam öffnete ich die Augen. Der Geruch nach Erde und nassem Gras drang in meine Nase, und ich brauchte einige Atemzüge, um mir darüber klar zu werden, wo ich war. Im Nachbau von Walahfrids Hortulus auf der Reichenau. Die Strahlen der Sonne fielen schräg durch die Büsche und malten helle Flecken auf den Boden. Nachmittag? Mit einem Ruck richtete ich mich auf und sah mich um. Mir kam es vor, als hätte ich erst vor einer halben Stunde Erik im Frühstücksraum meiner Pension getroffen. Was hatte er mir erzählt? Dass er mich vermisste? Aber was war seitdem passiert – es konnte doch nicht sein, dass ich stundenlang hier im Hortulus geschlafen hatte?
    An einem so wunderschönen Frühlingstag wie diesem mussten Dutzende von Touristen durch den Garten gegangen sein – und die hatten mich einfach schlafen lassen. Undenkbar! Und doch: Der Tag neigte sich dem Ende zu, daran gab es keinen Zweifel. Wieder sah ich auf die Beete und auf die kleinen Blättchen, die sich direkt vor meinen Augen durch die Erde ins Licht schoben. Die fein gefiederten Blättchen entfalteten sich in unendlicher Zartheit. Ich erkannte sie sofort: das maurische Kraut.
    Erst in dieser Sekunde fiel mir der gesamte Traum wieder ein. Das hier waren die Blätter, die Thegan aus dem Boden gerissen hatte. Bevor ich eingeschlafen war – oder war es doch eine Art Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit gewesen? – war ich mit

Weitere Kostenlose Bücher