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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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speziell Reichenauer Quecke handelt, und beschämst mich bis aufs Blut.«
    »Wie könntest du mir das Gegenteil beweisen?« Simon grinste. Dann deutete er auf den Himmel, an dem sich allmählich die Abenddämmerung breitmachte. »Ich hole noch schnell meine Taschenlampe. Auf dem Weg kann ich dir vielleicht das Märchen von der Quecke erzählen.«
    Wenig später machten wir uns auf den Weg. Die Sonne ging in einem wunderbaren Spektakel an Farben über dem See unter, und ein kühler Wind kam auf. Fröstelnd zog ich meine Jacke etwas enger um die Schultern.
    »Ist dir kalt?«, wollte Simon wissen.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Eigentlich bin ich nicht so empfindlich. Aber ich habe das Gefühl, dass mich ein komischer Virus erwischt hat. Meine Träume erinnern im Augenblick eher an Hollywoodfilme als an das, was ich sonst gewöhnt bin.«
    »Spiele ich denn auch eine Rolle darin?«, erkundigte sich Simon grinsend, und zum ersten Mal fiel mir auf, dass er dabei ein wirklich nettes Grübchen auf der einen Wange bekam.
    »Meine Träume spielen im Mittelalter«, wehrte ich ab. »Der klassische Traum einer Geschichtsstudentin, fürchte ich. Du tauchst wirklich nicht darin auf. Obwohl … einer der Helden sieht dir sogar ähnlich.«
    »Und was mache ich? Oder der Mann, dem ich ähnlich sehe?« Er sah mich neugierig an, und ein Lächeln spielte um seine Augen.
    »Er gräbt ein Beet um«, gab ich zur Antwort. »Deswegen habe ich ihm wahrscheinlich dein Gesicht gegeben.«
    Zum Glück erreichten wir in diesem Augenblick den Hortulus und konnten diese etwas peinliche Unterhaltung beenden. Simon sah sich mit aufmerksamer Miene um. »Also, wo wächst das vierundzwanzigste Kraut des Walahfrid?«
    Mit schnellem Schritt ging ich zu dem Beet in der abgelegensten Ecke des Gartens. »Hier.«
    Die Taschenlampe leuchtete auf, und der helle runde Kreis zappelte über den Boden, kletterte an den Brettern des Hochbeetes nach oben und landete auf der dunklen Erde. Simon ging näher und sah sich die wenigen Blätter an, die bereits aus der Erde ragten. Nachdenklich fuhr er mit der Hand über die Blätter und hielt seine Nase über die Pflanzen. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Genau diese Bewegung hatte ich heute Morgen auch gemacht. Und dann das Bewusstsein verloren. Ob ich wirklich die ganze Zeit hier im Gras gelegen hatte?
    Stell dir keine albernen Fragen, ermahnte ich mich selber. Wo sollte ich denn gewesen sein? Auf der Reichenau des 9. Jahrhunderts? Zeitsprünge fanden schließlich nur in den kitschigen Romanen meiner Mutter statt.
    Simon schüttelte den Kopf und richtete sich auf. »Eine Quecke ist das nicht. Aber auch nichts anderes, was ich kennen würde. Ist natürlich schwer zu bestimmen, ganz ohne Blüten oder Früchte. Meistens reichen mir die Blätter. Oder der Geruch. Aber dieses Mal muss ich passen.«
    Er drehte seine Taschenlampe wieder aus. »Was machen wir jetzt mit dem frühen Abend? Lust auf ein Glas Wein? Noch einmal lasse ich dich nicht mit Tee davonkommen!«
    Ich nickte. »In Ordnung. Wein. Wenn ich dann nur noch lalle oder heute Nacht noch üblere Albträume habe, dann weiß ich wenigstens, dass ich wirklich krank bin. Aber du müsstest mir ein paar Kekse dazu geben. Meine letzte Mahlzeit war das Frühstück, und das ist schon ziemlich lange her.«
    »In Ordnung. Essen und Wein. Komm, wir gehen wieder zurück.«
    Den Rest des Abends verbrachten wir mit einem herrlichen Weißwein, den Käsestangen, die ich am Vorabend nicht gegessen hatte – und einem Gespräch über Kräuter, das Leben auf dem Land und die Vorzüge eines selbstbestimmten Lebens im Gegensatz zu einer Festanstellung mit Arbeitszeiten, die wie in Stein gemeißelt den Tag in Abschnitte zerteilten.
    Ich weiß nicht, wie wir darauf kamen, aber irgendwann wollte Simon wissen, wie ich denn mein Leben plante. Und ich musste zugeben, dass ich noch keinen Fahrplan hatte. Nicht einmal eine Richtung. »Geschichtslehrerin ganz bestimmt nicht«, erklärte ich. »Ich lasse mich doch nicht von fremden Kindern terrorisieren!«
    »Von eigenen aber schon?«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
    »Keine Ahnung. Und wenn, dann nur mit dem richtigen Vater«, erklärte ich. »Und wie sieht es bei dir aus?«
    »Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, Kinder zu haben. Ich wüsste doch gar nicht, wie man ein guter Vater ist. Ich hatte ja keinen. Außerdem hätte ich zu viel Angst, dass meinem Kind etwas passieren könnte. Oder mir, und es

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