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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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kein Gesetz, dass dieser Fluch weitergegeben werden muss. Die Natur ist unberechenbar, sogar die Natur der Frauen.«
    »Ich weiß es aber.« Sie hatten den höchsten Punkt der kleinen Insel erreicht. Ihre Füße waren nass von dem Raureif, der sich auf die Gräser gelegt hatte. Hin und wieder trieb der Wind eine Wolke vor den Mond, dann wurde es finster. Hemma fröstelte und zog ihren Schal enger um die Schultern.
    »Hat Walahfrid ihr nichts von seinen Tränken gegeben?«, wollte Thegan wissen.
    »Doch. Er hat ihr irgendetwas Stärkendes gegeben, damit sie das Kind überhaupt herauspressen konnte. Und später einen Tee gegen die Blutungen. Aber ich habe meine Zweifel, ob der überhaupt eine Wirkung hat. Wahrscheinlich verhält es sich mit dem Tee von deinem Freund genauso wie mit den Kräutern, die die Hebamme verbrannt hat: Es ist das Einzige, was man tun kann, während die Hoffnungslosigkeit um sich greift.«
    »Es hat nicht gewirkt?« War dieses maurische Kraut etwa doch wirkungslos? Dann half wirklich nur noch Beten.
    Vom Seeufer her drang das Läuten der Glocke zu ihnen. Die Mönche im Kloster wurden zum Morgengebet gerufen. Einen Augenblick lang sah Thegan seinen Freund vor sich, der in seine Kutte schlüpfte und dann im schwachen Schein des Mondes in die Kirche hastete. Was mochte in Walahfrid vorgehen, jetzt, da er wusste, dass sie den Kampf gegen den Tod verloren hatten?
    »Ich bringe dich nach Hause«, sagte Thegan. »So bekommst du wenigstens noch ein wenig Schlaf, bevor der nächste Tag anbricht. Du musst dich schonen.«
    »Wofür?«, fragte Hemma mit einem bitteren Ton in der Stimme, den Thegan noch nie gehört hatte. »Ich werde den Jahreswechsel womöglich nicht erleben, ich bin dem Tod geweiht. Wahrscheinlich sollte ich wach bleiben, um meine letzten Wochen auf dieser Erde noch zu genießen. Mein Vater hatte recht.«
    »Bereust du es, dass wir uns und unsere Liebe gefunden haben?« Er sah ihr in die Augen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde alles wieder genauso machen. Aber ich finde es eine schwere Lektion, dass ich für diesen glücklichen Sommer mit meinem Leben bezahlen muss. Welcher Gott kann so etwas gut finden?«
    »Ich fürchte, der kümmert sich nur um deine Seele, nicht um deinen Körper«, erklärte Thegan nachdenklich. Er drückte sie an sich, und sie machten sich gemeinsam auf den Rückweg in die Klosterstadt.
    »Ich weiß, es ist ein schlechter Moment, um davon zu reden«, erklärte er plötzlich. »Aber mein Bruder hat sich gemeldet. Er hat das Erbe schon vor zwei Jahren angetreten, als mein Vater gestorben ist. Meine Mutter lebt noch bei ihm, und sie lässt mir ausrichten, dass sie hocherfreut ist, von meinem Überleben zu hören.«
    »Und dein Bruder? Ist er auch hocherfreut?« Sie sah ihn von der Seite her an. Thegan blickte hinaus auf den dunklen See und zögerte einen Moment.
    »Erfreut? Mag sein«, fuhr er fort. »Ich soll nämlich heimkehren und ihn bei der Verwaltung der Ländereien unterstützen. Für meinen Aufenthalt hier zeigt er durchaus Verständnis, aber jetzt soll ich doch bitte vor dem Einsetzen des Winterwetters nach Hause zurückkehren. Und zwar ohne Frau. Was bedeutet, dass ich nicht hinfahren werde. Ohne dich – das kommt nicht infrage. Ich kann weder dich noch unser Kind alleine lassen. Nach dem, was heute geschehen ist, weniger als jemals zuvor.«
    Hemma blieb stehen und sah Thegan an. »Er hat dich enterbt? Ist es das, was du mir gerade sagen willst?«
    »Noch nicht. Er wird mich erst enterben, wenn ich ihm schreibe, dass ich dich trotzdem zur Frau nehme und gedenke, mein Kind als mein Fleisch und Blut anzunehmen. Und genau das habe ich vor.«
    Hemma schüttelte den Kopf. »Das solltest du nicht tun. Was, wenn ich in ein paar Wochen oder Monaten sterbe? Dann hast du deine Zukunft im Haus deiner Eltern verspielt, ohne etwas gewonnen zu haben.« Sie sah ihn drängend an. »Es lohnt sich nicht, für mich die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Ich bin schon nächstes Jahr um diese Zeit nur noch eine Erinnerung, die allmählich verblassen wird.«
    »Das solltest du nicht einmal wagen zu denken!«, rief Thegan. »Wo ist meine Hemma, die sich weigert, einen düsteren Gedanken zu denken? Du musst weiter daran glauben, dass sich alles zum Guten wenden wird. Wir werden zusammen hundert Jahre alt, du wirst schon sehen. Wir bauen uns gemeinsam ein Leben auf, das alle anderen Menschen mit Neid erfüllt.«
    Ein leiser Seufzer war die Antwort. »Ich würde dir so gerne

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