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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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der Hand über diese Blätter gefahren. Hatte ich womöglich wegen des intensiven Geruchs das Bewusstsein verloren? Das hatte ja fast etwas von einem allergischen Schock – und ich war mir eigentlich sicher, dass ich auf nichts aus der Natur so heftig reagierte.
    Mir war schwindlig, und meine Hände fühlten sich so taub an, dass ich sie heftig aneinanderrieb, um ein wenig Gefühl zurückzugewinnen. Ich sah mich im Gärtchen um, wie schon am Vortag, um die einzelnen Kräuter zu identifizieren. Dabei stellte ich fest, dass es insgesamt tatsächlich vierundzwanzig verschiedene Pflanzen waren. Irgendwo musste also diese Ambrosia wachsen. Neugierig ging ich an den Beeten entlang, und tatsächlich: Es musste dieses fein gefiederte Kraut sein. Die geheimnisvolle Pflanze, von der ich mich jetzt allerdings sorgfältig fernhielt. Ein zweites Mal wollte ich nicht in einen geheimnisvollen Tiefschlaf sinken und von Träumen aus einer längst vergangenen Zeit heimgesucht werden.
    Die hereinbrechende Dämmerung machte mir klar, dass der Frühling noch nicht allzu weit vorangeschritten war – und siedend heiß fiel mir ein, dass ich an diesem Nachmittag mit Simon verabredet gewesen war. Er musste längst der Meinung sein, dass ich von ihm nichts mehr wissen wollte …
    Schnell machte ich mich auf den Weg zu seinem Laden und bemühte mich, die verwirrenden Bilder aus meinem Traum zu vergessen. Die blutige Geburt, die Verzweiflung des blonden Mädchens, die Klugheit, die der junge Mönch in jedem Moment seines Daseins ausstrahlte.
    Wie erwartet war Simons Laden bereits geschlossen, als ich ankam. Auch auf mein Klopfen öffnete niemand die alte, verwitterte Tür. Ich ahnte allerdings, wo ich Simon finden würde, und so schlenderte ich um das Haus herum und öffnete das niedrige Tor zum Kräutergarten. Wie erwartet, kniete Simon vor einem Beet, das er mit einer kleinen Hacke bearbeitete. Für einen Augenblick glaubte ich, den Adeligen aus meinen Träumen zu sehen. Schmal, dunkle Locken, eine konzentrierte Ernsthaftigkeit im Gesicht – tatsächlich könnten die beiden Brüder sein. Oder mein Unterbewusstsein baute meine neue Bekanntschaft bereits in meine Träume ein. Mein Unterbewusstsein kannte meinen Geschmack in Sachen Männer eben sehr gut.
    Der Teehändler war so tief in seine Gartenarbeit versunken, dass er mich erst bemerkte, als ich direkt vor ihm stand und mein Schatten vor ihm auf das Beet fiel. Irritiert sah er auf. Doch sobald er mich erkannt hatte, sprang er auf. »Lena! Ich habe schon geglaubt, du seist abgereist. Wolltest du nicht vorbeikommen, oder habe ich das falsch verstanden?«
    »Nein, nein«, beeilte ich mich zu versichern. »Wirklich nicht. Aber ich habe einen ziemlich merkwürdigen Nachmittag in diesem Hortulus-Nachbau am Kloster verbracht.« Ich zögerte. Ob ich ihm einfach anvertrauen konnte, dass mir am heutigen Tag mehrere Stunden fehlten? Immerhin ein größerer Filmriss, als ich ihn mir durch Alkohol jemals in meinem Leben eingehandelt hatte.
    Simon sah mich aufmerksam an. »Merkwürdiger Nachmittag? Du machst mich neugierig. Was kann schon zwischen ein paar Kräuterbeeten passieren? Und ich bin mir sicher, dass die in diesem Nachbau auch keinen echten Schlafmohn haben. Unsere Polizei ist da viel zu streng. Leider.«
    »Im Hortulus gibt es vierundzwanzig Kräuter!«, platzte ich heraus. »Ich habe genau nachgesehen und zigmal nachgezählt. Aber es bleibt dabei: Es sind vierundzwanzig.«
    Einen Augenblick lang sah Simon verblüfft aus. Dann schüttelte er den Kopf. »Das muss ein Streich von irgendjemandem sein. Was wurde denn da angepflanzt an der Stelle von Ambrosia? Bist du dir sicher, dass das nicht irgendein Unkraut ist? Könnte sich doch selbst ausgesamt haben?«
    »Unkraut erkenne ich. Da bin ich mir ziemlich sicher. Aber das Zeug ist noch recht klein. Es hat helle Blättchen, die ein bisschen gefiedert sind. Die Pflanze habe ich noch nie gesehen.« Ich sah ihn an und bemühte mich darum, mein Unterbewusstsein zu ignorieren, das mir anscheinend vermitteln wollte, dass ich dieses Kraut schon einmal gesehen hätte. Warum fiel mir dann aber nicht der Name ein?
    »Vielleicht kenne ich es ja?«, meinte Simon. »Ich möchte dich nicht beleidigen, aber ich denke, ich kenne doch eine Menge mehr Pflanzen als du. Wenn du das hier jeden Tag machen würdest, dann ginge es dir genauso.«
    »Okay«, stimmte ich zu. »Dann gehen wir zurück zum Hortulus, ja? Und du verrätst mir, dass es sich um eine

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