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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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wenn du dich mit Pflanzen beschäftigst. Mit diesem alten Zeug beschäftigst du dich, weil dir nichts Besseres einfällt, und wahrscheinlich auch, weil deine Eltern damit glücklicher sind. Sie wollen eine Tochter, die etwas studiert, so wie sie selber. Und sie merken überhaupt nicht, dass ihre Tochter nur dann glücklich ist, wenn sie mit beiden Händen in der Erde wühlt.«
    Ich musste lachen. »Das klingt, als wäre ich ein kleines Schwein, das sich nur wohlfühlt, wenn es sich ausgiebig im Dreck suhlen darf …«
    Mit ernster Miene hob Erik die Hand. »Halt! Du machst dich über mich lustig, weil ich glaube, etwas gefunden zu haben, was zu mir passt. Aber du selber überlegst dir keine einzige Sekunde, was dich zufrieden machen würde. Dabei sieht ein Blinder, dass du für diese Studiererei nicht wirklich geschaffen bist. Gib es doch zu!«
    »Was ist heute bloß los!« Ich sah wütend auf meine Hände. Heute hatten mich gleich zwei Männer bedrängt, dass ich unbedingt über meine Zukunft nachdenken sollte. Es stimmte schon, ich grübelte nicht ständig herum, was ich in meinem Leben erreichen wollte. Meistens reichte es mir, wenn die Sonne schien und ich draußen sein konnte. Dann war ich glücklich. Aber womöglich lag genau darin der Grund, warum Erik so überzeugt davon war, dass ich auch in der Zukunft besser unter freiem Himmel arbeiten sollte.
    Aufmerksam sah er mich an. Wie so oft hatte mich mein Mienenspiel verraten.
    »Und du weißt, dass ich recht habe«, fuhr er fort. »Ich habe keine Ahnung, was du für einen Beruf ergreifen solltest. Aber im historischen Seminar bist du ganz bestimmt nicht gut aufgehoben. Außerdem ist es vergeudetes Talent: Du bist geschaffen dafür, Dinge im Garten zum Blühen und zum Gedeihen zu bringen.«
    »Und du?« Ich sah ihm in seine blauen Augen. »Bist du wirklich der Meinung, dass deine Berufung im Journalismus liegt? Um in anderer Leute dreckiger Wäsche herumschnüffeln zu können?« Ich zeigte auf die Zettel, die er mir in die Hand gedrückt hatte. »Und das hier ist das Ergebnis? Ein paar Informationen, die niemanden interessieren. Ich hätte gut damit leben können, das alles nicht zu erfahren.«
    »Darum geht es doch gar nicht. Es ist das Gefühl, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. Sich mit etwas zu beschäftigen, wovon ich das Ergebnis noch nicht kenne. Wenn ich einen alten lateinischen Schinken ansehe und übersetze, dann bin ich einer von Hunderten, der das tut. Aber hier war ich garantiert der Erste seit über zwanzig Jahren, der sich für diesen Unfall interessiert hat. Vielleicht hat das ja etwas zu bedeuten?«
    »Und was ist, wenn das nichts zu bedeuten hat? Vielleicht solltest du ja bei der Geschichte bleiben und einfach nur auf Zeitgeschichte umsatteln, wenn es dir so wichtig ist, dass deine Arbeit einen Bezug zur Gegenwart hat. Vor allem: Wer sagt dir, dass du bei deiner Zeitung auch die großen Geschichten aufdecken darfst. Wahrscheinlich gibt es dort genauso viele langweilige Jobs wie überall sonst auch.«
    Doch Erik ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Blödsinn. Als ich in diesem Archiv saß und die alten Mikrofiches durchgesehen habe, war ich mir sicher: Das hier ist meine Welt!«
    »Weißt du was, Erik, ich glaube eher, dass die Archivarin dieser Provinzzeitung wunderschön war und dir den Verstand vernebelt hat.« Ich musste lachen. »Warte noch ein paar Tage, dann wirst du sehen, was du wirklich willst. Das ist wie mit deiner Freundschaft zu mir: Du musstest sie erst beenden, um sie dann zu vermissen. Du solltest dir vor allem eine Sache angewöhnen: ein bisschen mehr nachzudenken, bevor du etwas tust. Du tauchst hier auf der Insel auf und wunderst dich, dass ich dich nicht vermisst habe. Dann untersuchst du überflüssigerweise, warum jemand, den ich eben erst kennengelernt habe, Waise ist. Überraschung: weil seine Eltern gestorben sind. Und aus diesem gewaltigen Erfolg schließt du, dass Journalismus deine neue Berufung ist. Mir ist es völlig egal, auf was für einem Trip du gerade bist, ich gebe dir nur einen Rat: Hör auf damit! Mach lieber vernünftige Pläne!«
    »Das sind aber die vernünftigsten Pläne, die ich jemals geschmiedet habe«, erklärte er. »So wie es für dich das Beste wäre, dich der Landwirtschaft oder dem Gartenbau zu widmen. Aber du siehst das ja nicht und vergräbst dich lieber weiterhin in deine alten Schinken.«
    Genervt stöhnte ich auf. An diesem Abend erteilten mir wirklich zu viele Männer

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