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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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verlässt. Sie ist nicht gut für dich.« Damit nickte er mir zu und wandte sich ab. Er griff nach einem weiteren Tablett voller winziger Setzlinge und begann mit konzentriertem Gesicht, die Erde eines weiteren Frühbeets umzugraben.
    »Du buddelst in deiner Erde herum und gibst es einfach auf, etwas über die Vergangenheit herauszufinden?«
    »Genauso ist es.« Seine Stimme klang merkwürdig belegt, er sah mich nicht einmal mehr an, sondern hielt seinen Blick stur auf das Beet vor sich gerichtet. Ich konnte nicht einmal mehr sein Gesicht sehen, weil seine dunklen Locken nach vorne gefallen waren. »Und jetzt möchte ich, dass du verschwindest. Am besten zurück in dein Münster oder zu deinen Eltern. Auf jeden Fall weg von hier. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, und ich wünsche dir noch ein schönes Leben. Aber ich will dich hier nicht mehr sehen.«
    Verdattert machte ich einen Schritt rückwärts. So etwas passierte doch nur in einem Film, aber nicht im wirklichen Leben. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, und ich wünsche dir noch ein schönes Leben. Aber ich will dich hier nicht mehr sehen.
    Er rührte sich nicht. Seine Hände lagen still auf dem Beet, und leise murmelte er: »Leb wohl.«
    Mir kam nichts über die Lippen. Ich drehte mich um und machte mich auf den Rückweg durch den Garten, zog das Törchen hinter mir zu und machte mich auf den Rückweg in meine Pension. Es stimmte, was meine Mutter gesagt hatte: Ich hatte auf dieser Insel nichts mehr verloren, und es war sicher am besten, ich fuhr über diesen verfluchten Damm wieder zu meinen Eltern. Dann würde ich das Buch von der Buchhändlerin abholen und es zurück nach Münster bringen. Die Handschrift war immer noch eine Sensation, auch wenn ich keinen wissenschaftlichen Beitrag dazu geleistet hatte. Es musste reichen, dass ich dieses dämliche Ding erkannt hatte. Ich konnte mich nicht einmal mehr daran erinnern, warum ich überhaupt hergekommen war. Ein unbestimmtes Gefühl, dass ich hier Antworten auf meine Fragen bekommen würde. Was für ein Blödsinn. Ich hatte mehr Fragen als jemals zuvor. Keine Ahnung, warum das Manuskript jemals als Bucheinband verwendet worden war. Warum Walahfrid das Ding geschrieben hatte, was diese Ambrosia eigentlich war. Eine Historikerin mit bahnbrechenden neuen Einsichten würde niemals aus mir werden.
    Ich war so tief in Gedanken versunken, dass ich fast vor ein Auto gelaufen wäre, das eben erst über den Damm gekommen war und sich flott in Richtung der Sehenswürdigkeiten bewegte. Wieder ein Besucher, der alte Steine unwiderstehlich fand.
    Trotzdem – ein letztes Mal wollte ich den Hortulus sehen. Vielleicht bekam ich ja doch noch eine Idee, worum es sich bei diesem Kraut handelte, das Simon offensichtlich so verwirrt hatte. Was war nur in ihn gefahren? Als wir uns kennengelernt hatten, war er aufmerksam und neugierig gewesen. Jetzt hätte er mich am liebsten von seinem Grundstück geschmissen. Und was sollte nur dieses geheimnisvolle Gerede, dass man manche Geheimnisse besser auf sich beruhen lassen solle? Womöglich glaubte Simon auch an den Fluch des Tutanchamun oder bekreuzigte sich, wenn ihm eine schwarze Katze in der falschen Richtung über den Weg lief. Wahrscheinlich passierte das, wenn man niemals diese Insel verließ.
    Mit einem höhnischen Grinsen erreichte ich den Hortulus. Sicher, ich hatte mich schon immer gern in bitteren Sarkasmus geflüchtet, wenn etwas nicht klappte. Aber dieses Mal war ich meiner Meinung nach völlig im Recht.
    Das Beet in der Ecke sah dunkler aus als die anderen. Als ich näher kam, sah ich, was passiert war – auch wenn mein Hirn sich weigerte zu begreifen, was da geschehen war: Die Erde war ordentlich umgegraben. Kein einziges Blatt zeigte sich mehr an dieser Stelle. Ich sah mich noch einmal um, ob ich womöglich vor dem falschen Beet stand. Aber ein Irrtum war in diesem Fall nicht möglich: Das hier war genau die Stelle, vor der ich noch letzte Nacht mit Simon gestanden hatte. Hier hatten wir im Schein der Taschenlampe über den Ursprung und den Namen der kleinen Blätter gerätselt.
    Ich bückte mich und fuhr mit meiner Hand über die Erdkrumen. Sie waren noch leicht feucht, es konnte nicht lange her sein, dass hier jemand alle Spuren verwischt hatte, um nicht den Fluch des Walahfrid heraufzubeschwören. Dieser Jemand war ziemlich sicher Simon Linde gewesen. Was mir damit immer noch nicht klar war: Wer hatte die Samen in die Erde gelegt? Wer auf dieser

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