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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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»Aber ich denke, du solltest dir das hier mal anschauen. Ich habe ein paar Untersuchungen über diesen Simon Linde angestellt.«
    »Warum das denn? Nicht einmal mein Vater möchte den Lebenslauf von jedem Mann vorgelegt bekommen, mit dem ich ausgehe. Willst du mich vor dem bösen Teehändler schützen? Hast du zu viele schlechte Romane gelesen?«
    »Nein«, erklärte Erik – und sein Lächeln erlosch. Er ließ die Papiere sinken, mit denen er vor meiner Nase herumgewedelt hatte. »Um die Wahrheit zu sagen: Du hattest so leuchtende Augen, als du von diesem Simon erzählt hast. So hast du noch nie ausgesehen, wenn wir zusammen waren. Ich wollte einfach sichergehen, dass dieser Simon das auch verdient hat. Niemand soll dich kränken oder verletzen, habe ich mir gedacht. Da ist doch nichts Schlimmes dran.«
    »Nein«, gab ich zu. »Aber ich möchte es nicht. Ich brauche keinen großen Bruder, der auf mich aufpasst. Und erst recht nicht einen Freund, der mir mal erzählt, dass er jetzt mehr Zeit für sich und sein Studium braucht – und im nächsten Moment tagelang hinter mir herreist und nachsieht, wie es mir geht. Ich mag es, wenn die Menschen um mich herum verlässlich sind. Ist das so schwer zu verstehen?« Dann deutete ich neugierig auf die Zettel in seiner Hand. »Und was ist jetzt so unglaublich wichtig, dass du es mir mitten in der Nacht sagen musst?«
    Das triumphierende Lächeln kehrte in Eriks Gesicht zurück. »Lies dir das mal durch. Ich habe herausgefunden, warum er so jung einen so großen Laden führt: Seine Eltern sind gestorben.«
    »Das weiß ich doch längst. Und dafür muss man nicht in irgendein Archiv fahren, da reicht es, wenn man denjenigen selbst fragt. Simon hat mir erzählt, dass seine Eltern gestorben sind und dass er bei seiner Tante in Konstanz aufgewachsen ist.«
    »Hat er dir auch gesagt, wie seine Eltern ums Leben gekommen sind?«
    »Hör mal zu, ich weiß, dass sie bei einem Verkehrsunfall gestorben sind. Mehr hat er mir nicht erzählt, aber das reicht doch wohl!«
    Erik schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat er es dir nicht gesagt, weil er bei dem Unfall selber dabei war?«
    Ich griff nach den Ausdrucken. Der eine war ein Zeitungsartikel aus meinem Geburtsjahr. Ein voll besetztes Auto mit vier Erwachsenen und einem Kind war auf dem Damm zwischen dem Festland und der Reichenau von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Alle vier Erwachsenen, darunter die Eltern des Kindes, waren noch am Unfallort gestorben. Nur das Kind hatte wie durch ein Wunder mit ein paar Schürfwunden und Prellungen überlebt.
    Ob Simon sich an diesen Unfall erinnerte? Kein Wunder, dass er diese Insel nicht verließ. Wahrscheinlich stieg er nicht mal mehr in ein Auto. Womöglich hatte er gar keinen Führerschein … Im selben Moment wurde mir bewusst, wie heuchlerisch Erik eigentlich war.
    Ich funkelte ihn wütend an. »Ich verstehe wirklich nicht, warum ich das jetzt wissen soll! Das ist eine schlimme Geschichte, die aber auch schon lange zurückliegt. Wenn Simon mir davon erzählen will: gut. Wenn nicht: auch gut. Ich werde mich jedenfalls nicht sensationslüstern am Elend anderer Menschen hochziehen. Das ist nicht in Ordnung!«
    »Jetzt sei doch nicht so empfindlich, Lena!« Erik sah mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. »Ich finde das spannend. Das sind Storys, die das Leben schreibt und die Auswirkungen bis in die Gegenwart haben. Nicht wie diese alten Geschichten, von denen wir im Studium immer wieder hören.«
    »Und was willst du mir damit sagen?« Ich sah ihn herausfordernd an. »Dass du dich künftig dem blutigen Klatsch verschreibst und von der Wissenschaft nichts mehr wissen willst?«
    Langsam nickte Erik. »Ich fürchte, es bedeutet genau das. Ich werde mein Studium nicht abschließen, es interessiert mich einfach nicht. Merkwürdigerweise ist mir das heute erst klar geworden, als ich im Zeitungsarchiv saß und die Geschichte von deinem Teehändler recherchiert habe. Das ist mein Ding! Nicht die alten Schinken. Ich will bei einer Zeitung arbeiten, Lena. Das habe ich heute entschieden.«
    Ich zwang mich zu einem einfachen Schulterzucken. »Wenn es dich glücklich macht, bitte. Und wenn du glaubst, dass die dich haben wollen.«
    »Das werden sie schon noch merken. Es kann doch nicht so schwierig sein, an einen ordentlichen Ausbildungsplatz zu kommen. Was macht dich denn glücklich?«, fragte Erik mit einem drängenden Gesichtsausdruck. »Sei doch ehrlich: Du lebst auf,

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