Holundermond
Wörtchen mit Ihrer Tochter reden.«
Jan zuckte zusammen. »Lassen Sie Nele aus dem Spiel. Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen. Aber glauben Sie mir, mit dieser Sache kommen Sie nicht durch!«
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.« Holzer steckte das Handy ein. Dann wandte er sich zur Tür.
»Wo wollen Sie hin?« Jan erschrak über seine Stimme. Die Angst machte sie klein und hässlich.
Holzer lachte. »Vielleicht treffe ich mich mit Ihrer Tochter, Wagner. Vielleicht gehe ich aber auch lieber auf Schatzsuche. Sie haben jetzt ja viel Zeit, darüber nachzudenken. Ich wünsche einen schönen Tag!«
»Warten Sie!« Er wollte hinter Holzer her, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Jan stolperte und fiel auf die Knie. Er hörte, wie Holzer den Schlüssel im Schloss drehte und sich mit eiligen Schritten entfernte.
Nele! Er schloss die Augen. Wie um alles in der Welt sollte er Nele warnen? Jan schluckte die Übelkeit hinunter, die ihn wieder zu überrollen drohte. Er musste jetzt einen klaren Kopf bekommen. Er durfte nicht aufgeben. Er öffnete die Augen und schaute sich in der Zelle um. Keuchend robbte er zum Bett und stemmte sich mühsam daran hoch. Dann wankte er zu dem kleinen Nachtschrank und öffnete ihn. Nichts. Enttäuscht stützte er sich an der Wand ab. Nicht aufgeben, murmelte er leise vor sich hin, du musst nachdenken. Du musst hier irgendwie rauskommen und Holzer aufhalten. Durch seinen Sturz hatte er aber vollkommen die Orientierung verloren. Er konnte nicht sagen, in welche Richtung das Fenster zeigte. Ob da draußen Menschen waren, nach denen er rufen konnte? Die Gärtner vielleicht? Was, wenn Holzer nicht die Wahrheit gesagt hatte und dort doch jemand arbeitete? Er musste an das Fenster kommen. Die winzige Öffnung befand sich jedoch hoch oben unter der Decke. Janversuchte, den Sims mit den Fingern zu erreichen. Aber kaum hatte er die Arme in die Luft gehoben, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Es fühlte sich so an, als hätte ihm jemand ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Er brach mit einem Aufschrei auf dem Fußboden zusammen. Sein Kopf schlug auf den harten Stein. Eine bittere Kälte durchströmte ihn. Schützend schlang er die Arme um den Körper. Die dicken Klostermauern hielten nicht nur die Menschen draußen, sie ließen auch die Wärme nicht hinein.
9
»Los!« Flavio zog Nele am Ärmel von Händler zu Händler.
Diese konnte sich an den ganzen Ständen gar nicht sattsehen. In allen Farben leuchteten ihr die verschiedenen Gewürze entgegen. Jan hatte ihr viel erzählt von den alten Gewürzstraßen, den langen Handelswegen im Mittelalter und den Gefahren, die seinerzeit die Kaufleute auf sich nahmen, um ihre Waren aus allen Teilen Asiens nach Europa zu bringen. Hier auf dem Naschmarkt vermischten sich nun ihre Farben und ihr Duft mit dem Stimmengewirr der Händler, dem Gewimmel der Touristen und der Wärme der Sonne auf Neles Haut zu einem wunderbaren Gefühl von Sommer.
»Ich komme ja schon.« Nur zögernd gab Nele dem Drängen Flavios nach, der sich seit ihrer Ankunft auf dem Markt benahm, als habe er sich seit Wochen von Wasserund Brot ernährt. Es gab keinen Stand, an dem er nicht darum bat, einmal probieren zu dürfen. Immer wieder schob er auch Nele etwas in den Mund. Hier ein Stückchen Käse, dort eine eingelegte Frucht, da eine Olive und hier ein paar Nüsse. Sie hatten noch nichts gekauft, aber Nele fühlte sich bereits pappsatt. Wieder landete etwas in ihrem Mund. Diesmal war es sehr süß und klebrig.
»Türkischer Honig.« Flavio leckte sich genüsslich die Finger ab. »Und da, guck mal, getrocknete Feigen.«
Er wollte sie schon wieder weiterziehen. Aber Nele hatte ein paar Spielleute entdeckt und blieb wie gebannt stehen. Die Männer in ihren mittelalterlichen Gewändern schienen aus einer anderen Zeit zu stammen. Einer zupfte die Laute und die Menschen lauschten. Schnell bildete sich ein Kreis um die jungen Männer, von denen zwei sich Raum für ihren Auftritt verschafften, indem sie bunte Keulen in ihren Händen anzündeten, sodass hohe Flammen an den Fackeln aufloderten. Dann fingen sie an zu jonglieren. Die Flammen flogen hin und her, dicht über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Der Lautenspieler bekam Verstärkung von einem Musiker mit einer Drehleier, der wie ein Paradiesvogel gekleidet war. Ein Dritter stimmte mit einem langen gebogenen Horn ein. Nele kannte die Instrumente alle aus den Büchern ihres Vaters.
Der Mann mit dem Krummhorn fing Neles
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