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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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auf einen Zug.
    Nele nippte vorsichtig an ihrem Getränk. Der Saft schmeckte herrlich fruchtig. Aber unter den Blicken des Turbanträgers fühlte sie sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher.
    Sie drehte ihm den Rücken zu und gab vor, das Markttreiben zu beobachten, als sie plötzlich ein bekanntes Gesicht in der Menge entdeckte: Holzer. Er bewegte sich geradewegs auf sie zu. Aufgeregt zupfte sie Flavio am Ärmel und deutete mit dem Kopf in Richtung des Historikers.
    »Mist! Was will der denn hier?« Flavio reagierte sofort und zog Nele hinter einen der anderen Stände.
    »Glaubst du, er hat uns gesehen?« Obwohl Holzer noch weit weg war, senkte Nele ihre Stimme zu einem Flüstern.
    »Nein, glaube ich nicht. Aber müsste der nicht eigentlich noch mit deinem Vater in der Kartause sein?«
    »Vielleicht sind sie schon fertig dort«, sagte Nele, obwohl sie sich das kaum vorstellen konnte. Wie sie Jan kannte, würde er den ganzen Tag dort zubringen wollen und vermutlich sogar das Abendessen ausfallen lassen. Aber wenn Jan noch in der Kartause war, was machte dann Holzer hier?
    »Lass uns sehen, wohin er will«, zischte Flavio Nele zu. »Möglicherweise finden wir heraus, was er vorhat.«
    Nele hatte eigentlich genug vom Detektivspielen. Sie hätte jetzt lieber bei einer großen Schüssel frischer Erdbeeren in Vivianes schattigem Garten gesessen.
    Als Holzer nur noch ein paar Schritte von ihnen entfernt war, duckte sie sich. Er kann uns nicht sehen, dachte sie, unmöglich. Aber wohl fühlte sie sich trotzdem nicht, so eingekeilt zwischen Holzer und dem Händler.
    Da blieb Holzer abrupt stehen. Sein Blick traf den des Händlers und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Nichts war mehr übrig von der lässigen Überheblichkeit, die Holzer am Morgen zur Schau gestellt hatte.
    »Der hat Angst«, flüsterte Flavio Nele sichtlich beeindruckt zu.
    Der Händler stand unbeweglich da, die Augen starr auf Holzer gerichtet.
    Und für einen Moment schien es Nele, als wäre die Zeit stehen geblieben und alle Stimmen um sie herum verstummt.
    Mit einem Mal riss Holzer sich aus dem Bann seines Gegenübers und machte auf dem Absatz kehrt. Der Obsthändler rührte sich immer noch nicht. Aber die Welt hatte wieder zu atmen begonnen und das Markttreiben mit all seinen Geräuschen und Eindrücken schwappte wieder über ihnen zusammen.
    »Komm!« Flavio fasste sie am Arm. »Hinterher!«

10
    Da Nele Holzer in dem Gewimmel auf dem Naschmarkt überhaupt nicht sehen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als Flavio hinterherzulaufen.
    »Wir müssen da rüber, sonst verlieren wir ihn.« Flavio war an einer Straßenecke stehen geblieben und deutete auf die andere Seite, wo Holzer gerade um die nächste Ecke bog und aus ihrem Blickfeld verschwand. »Los, beeil dich!« Ungeachtet des fließenden Verkehrs zerrte Flavio Nele über die Straße. Ein Auto hupte und Nele schloss die Augen. Als sie endlich die Ecke erreicht hatten, bei der Holzer abgebogen war, musste Nele kurz anhalten und verschnaufen. Da erst fiel ihr auf, dass Flavio ihre Hand hielt. Verstohlen warf sie einen Blick in Flavios Gesicht. Noch nie hatte ein Junge ihre Hand auf diese Art festgehalten. Schnell zog sie ihren Arm zurück. Der Schweiß lief ihr über das Gesicht und ihre Füße taten weh. Wasmache ich hier eigentlich?, dachte sie. Gestern habe ich diesen Holzer noch gar nicht gekannt und heute renne ich ihm durch halb Wien hinterher.
    »Da vorne ist er!« Aufgeregt zeigte Flavio die Straße hinauf. Nele kniff die Augen zusammen. Die grelle Mittagssonne reflektierte weiß von den Fassaden und blendete sie.
    Holzer war stehen geblieben und schaute genau in ihre Richtung. Nele zuckte zusammen, doch Flavio hatte sie schon hinter ein parkendes Auto gezerrt. Holzer hatte wohl keinen Verdacht geschöpft, denn jetzt ging er zielstrebig auf die große Kirche in der Mitte des Platzes zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    »Was will er da drin?«, flüsterte Nele, als Holzer im Inneren der Kirche verschwand.
    »Keine Ahnung.« Flavio stand auf und klopfte sich den Staub von den Jeans. »Aber das werden wir gleich herausfinden.«
    Nele schaute hoch zu den beiden riesigen Türmen, die rechts und links neben der Kirche aufragten. »Flavio, bitte!« Nele hielt ihn am Arm fest. »Lass uns gehen! Was, wenn Holzer uns sieht?« Jemand, der in der Lage war, einen Anschlag zu planen und wie einen Unfall aussehen zu lassen, schreckte sicher vor nichts zurück.
    Aber Flavio schüttelte Nele ab. »Ich

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