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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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Büchlein Jans sein? Wenn ja, wie war es dann hierhergekommen? Ihr Vater würde das Buch niemals freiwillig aus der Hand geben, so viel stand für Nele fest. Nur mühsam konnte sie ihren Blick von der Nische losreißen. Hoffentlich hatte Giovanni nichts gemerkt und hoffentlich war er bald mit seinem Telefonat fertig.
    Aber dieser Holzer schien kein Ende zu finden. Erst nachdem Giovanni ihm mindestens dreimal versichert hatte, dass Nele und Flavio nicht im Besitz von Jans Unterlagen waren und sich auch nicht länger im Kloster herumtreiben würden, legte er auf.
    »Ihr habt es gehört.
Dottore
Holzer will euch nicht mehr im Museum sehen. Haben wir uns da verstanden, Flavio?«, wandte sich Giovanni an seinen Sohn. »Du hast Ferien, eine nette Begleiterin«, er zwinkerte Nele zu, »du kannst baden gehen, wandern oder ins Kino. Aber das Kloster ist ab sofort tabu, okay?«
    »Was ist denn jetzt mit meinem Vater?« Nele hielt es nicht länger aus.
    »Ach so, ja, dein Vater.« Giovanni hob entschuldigend die Hände. »
Dottore
Holzer hat mir erzählt, dein Vatermusste ziemlich plötzlich nach Linz. Er ist da wohl einer spannenden Sache auf der Spur und wollte sich sofort darum kümmern. Du sollst dir keine Sorgen machen, er meldet sich später. Holzer meint, er habe das Handy vielleicht im Zug ausgeschaltet, er sei nämlich mit der Bahn nach Linz gefahren.«
    »Nach Linz?« Nele runzelte die Stirn. »Was will er denn in Linz? Und wo ist Linz überhaupt?« Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Flavio sich blitzschnell bückte und etwas in seine Hosentasche steckte.
    »Linz liegt knapp 200 km westlich von hier«, antwortete Flavios Vater. »Was er da genau vorhat, weiß ich nicht. Aber er ruft nachher ja an. Jetzt geht ihr erst mal zurück in die Pension. Nicht, dass Viviane sich auch noch Sorgen macht. Und dann wirst du sehen, dass alles in bester Ordnung ist.«
    Da war sich Nele nicht so sicher.

13
    Jan fror. Jeder Atemzug war eine Qual. Er war zu der Pritsche gekrochen, hatte sich an deren Rand hochgezogen und war völlig erschöpft darauf zusammengesunken. Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Wirre Träume von Baumstämmen, die vom Himmel fielen, goldenen Engeln, die Feuerblitze auf die Erde schleuderten und riesigen Eulen, die eine Kirche umkreisten, begleiteten seinen unruhigen Schlaf. Er sah Nele vor sich, wie sie als kleines Mädchen auf seinem Schoß gesessen und seinen Geschichten gelauscht hatte. Er dachte an Lilli, die oft kopfschüttelnd das Abendessen für ihn aufgewärmt hatte, wenn er wieder mal viel zu spät nach Hause gekommen war. Als er die Augen aufschlug, glaubte er, noch ihre vorwurfsvolle Stimme zu hören, und eine unerklärliche Sehnsucht überkam ihn. Eine Sehnsucht, wie er sie schon seit Monaten nicht mehr gespürt hatte. Was Lilli wohl gerademachte? Draußen dämmerte es bereits, es fiel kaum noch Licht durch das winzig kleine Fenster in seine Zelle. Heute sollte das Umzugsunternehmen die Möbel von Lilli und Nele abholen und zu der neuen Wohnung bringen.
    Jan versuchte, sich das alte Haus, in dem sie so lange zu dritt gelebt hatten, leer vorzustellen, aber es wollte ihm nicht gelingen.
    Vorsichtig stützte er sich auf seine Arme und zog sich hoch. Er rutschte auf seiner Pritsche nach hinten, schloss die Augen und lehnte den Rücken gegen die kalte Wand.
    Sollte Holzer das Notizbuch an sich genommen haben, dann wusste er inzwischen, wie nah Jan dem Geheimnis der Kirchendiebstähle gekommen war.
    Wenn er nur eine Möglichkeit finden würde, Nele zu warnen. Aber er konnte das kleine Fenster hoch oben an der Decke nicht erreichen. Die Tür war zu dick, um sie einzutreten, und sein Handy hatte Holzer ihm abgenommen.
    Noch einmal ließ er den Blick durch die Zelle schweifen. Vielleicht hatte er ja irgendetwas übersehen. Aber soweit er in der Dämmerung überhaupt noch etwas erkennen konnte, war da nichts.
    Jan versuchte sich vorzustellen, wie ein Mönch hier wohl gelebt hatte, nur mit seiner Bibel und dem Rosenkranz.
    Im Gegensatz zu ihm hatten die Ordensbrüder ihre Zellen jedoch verlassen können, zum Beten, zu den Messen und Gottesdiensten und zum Verrichten ihrer täglichenArbeiten in der Küche, im Klostergarten oder auch in der Bibliothek.
    Die Bibliothek. Zu gerne hätte er einen Blick dort hineingeworfen. Auch wenn er wusste, dass er nur einen großen leeren Raum vorfinden würde.
    Die kostbaren Bücher, die alten von Hand gefertigten Schriften, sie waren alle Opfer der Flammen

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