Holundermond
um. »Was wollt ihr hier?« Wie Kirschkerne spuckte er ihnen jedes einzelne Wort vor die Füße und starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
17
Holzer betrat das Café und suchte sich einen Tisch am Fenster. Er stellte seine Aktentasche neben sich auf einen Stuhl und nahm Platz.
So früh am Morgen verirrten sich nur selten Gäste hierher. Erst später, wenn die ersten Touristenbusse zum Wienerwald fuhren, kam der eine oder andere Wanderer vorbei. Und die Klosterbesucher verschlug es in der Regel sowieso erst am Nachmittag zum Kaffeetrinken in die Eisdiele.
Es gefiel ihm, dass Giovanni bei seinem Eintreten sichtlich zusammenzuckte. Und es gefiel ihm noch mehr, dass Flavios Vater offenbar sehr nervös war. Das machte einiges leichter. Und er verlor nicht zu viel Zeit.
Zeit – bald würde er alle Zeit der Welt haben, nur ein paar Tage noch, vielleicht nur wenige Stunden. Dann gehörte die Zeit ihm. Aber zuvor musste er verhindern, dassdiese dämlichen Kinder ihm noch einmal in die Quere kamen.
»Sie sind früh dran,
Dottore
. Das Gleiche wie immer?«
Holzer genoss es, wie Giovanni sich bemühte, ihn freundlich zu stimmen. Doch heute würde er damit keinen Erfolg haben. »Ich bin nicht zum Kaffeetrinken hier,
Signore Giovanni Giordanetto
. Ich muss mit Ihnen über Ihren Sohn reden.«
»Über Flavio?« Giovanni stöhnte. »Hat er wieder etwas angestellt? Sie können sicher sein, dass ich ihm ausdrücklich verboten habe, Ihre Arbeit und die der Polizei weiter zu behindern. Glauben Sie mir, ich habe ihm gestern Abend ordentlich den Kopf gewaschen. In Zukunft wird Flavio dem Kloster fernbleiben.«
Holzer verschränkte die Arme, legte den Kopf in den Nacken und schaute einen Moment zur Decke, bevor er Giovanni direkt ansah. »Ich frage mich nur, und das müssen Sie verstehen, Giovanni, ich frage mich, von wem hatte der Junge die Schlüssel zum Kloster.«
Giovanni wurde blass. »Er hat sie sich einfach genommen. Er hat mich nicht gefragt. Ich hätte ihm die Schlüssel niemals ausgehändigt. Nicht nach unserem letzten Gespräch,
Dottore
Holzer, das müssen Sie mir glauben.«
»Dann sollten Sie die Schlüssel vielleicht etwas besser wegschließen, meinen Sie nicht auch?«
Giovanni standen kleine Schweißperlen auf der Stirn.
Holzer erhob sich von seinem Platz und ging zum Fenster. Sein Blick fiel auf den Weg, der direkt zur Kircheführte. Es gab eine Zeit, da hatte dort kein Kies gelegen. Da watete man durch knöchelhohen Schlamm, wenn es in der Nacht zuvor stark geregnet hatte. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Er wandte sich zu Giovanni um und seufzte. »Glauben Sie mir, ich weiß, dass es nicht einfach ist für Sie, den Jungen ohne dessen Mutter großzuziehen. Flavio ist in einem schwierigen Alter. Ich kenne ja meine Pappenheimer aus der Schule. Sie brauchen eine strenge Führung.«
Giovanni nickte. »Ich tu mein Bestes,
Dottore
Holzer, das versichere ich Ihnen. Aber tagsüber habe ich natürlich wenig Einfluss. Sie wissen ja, wie das ist. Mit vierzehn treibt einen nur der Hunger nach Hause.« Er lachte verlegen.
»Ich weiß. Dann sollten wir dafür sorgen, dass der Herr Sohn einen Grund hat, öfter zu Hause zu sein.«
»Ich verstehe nicht,
Dottore?
«
Holzer schaute wieder aus dem Fenster. »Ich nehme an, Sie wissen, dass die Versetzung Ihres Sohnes gefährdet ist.« Er senkte seine Stimme so weit, dass der andere sich anstrengen musste, ihn überhaupt zu verstehen.
Holzer konnte förmlich hören, wie Giovanni die Luft anhielt. Jetzt hatte er ihn. Natürlich war Flavios Versetzung nicht gefährdet. Aber wem würde der Mann mehr glauben? Seinem missratenen Sohn? Oder ihm, dem Wiener Historiker und Geschichtslehrer Doktor Stephan Holzer? Langsam drehte er sich zu Giovanni um.
»Ich hatte es befürchtet. Ihr Sohn hat Ihnen kein Wort davon erzählt, nicht wahr?« Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Nun, auch das ist bei Jungen in seinem Alter durchaus üblich. Man hat gerne das eine oder andere Geheimnis vor seinen Eltern, pardon, seinem Vater, vor allem, wenn man dadurch umgehen kann, sich noch mehr Ärger einzuhandeln.«
»Aber Flavio muss doch keine Angst vor mir haben!« Giovanni war außer sich. »Er weiß doch, dass er mit allem zu mir kommen kann, auch mit Schulproblemen. Ich bin doch immer für ihn da.«
»Vielleicht will er Sie damit nicht belasten. Schließlich weiß er ja, wie sehr sie um die Existenz dieses Cafés kämpfen.«
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